Ebbe und Glut
Worten. »Ich glaube, ich habe meine Mitte wiedergefunden. Jedenfalls zum großen Teil. Es ist mir nicht wichtig, ob das mit Stefan weiter geht oder nicht. Darauf kommt es gar nicht an.«
»Und worauf kommt es dann an?«, fragte ihre Mutter. Sie trug Filzpantoffeln zu ihrem Rock und der Wollstrumpfhose und sah damit seltsam verschroben aus.
»Darauf, dass ich bei mir bin und mich mit mir selbst wohlfühle. Dass ich Dinge mache, die mir gut tun, die mir wichtig sind. Dass ich innerlich zufrieden bin.«
Erstaunt stellte Mia fest, dass sie nach über zwei Jahren Irrfahrt durch ihr eigenes Leben tatsächlich angekommen war. Ob Stefan sie auf ihrem zukünftigen Weg begleitete oder nicht, war dabei völlig nebensächlich. Es ging nicht um ihn, es ging nur um sie.
»Das klingt ja fast philosophisch«, stellte Barbara fest.
»Es klingt toll«, ergänzte Marie.
Walter ließ ein leises Schnarchen vernehmen. Er war in seinem Sessel eingeschlafen.
Über Silvester fuhr Mia mit Stefan in die Schweiz zum Skifahren. Sie verbrachten schöne, erholsame Tage miteinander. Alles lief perfekt, Mia spürte, wie gut es ihr tat, wieder einen Mann an ihrer Seite zu haben. Und doch war sie seltsam unbeteiligt, als ginge sie das alles nichts an, als beobachte sie lediglich eine andere Frau beim Glücklichsein.
Am letzten Abend sprach Stefan sie überraschend darauf an. »Liegt es an Arthur Kessler?«, fragte er.
»Wie kommst du denn darauf?« Mia starrte ihn verblüfft an. Sie hatten soeben miteinander geschlafen, doch dem Sex fehlte die zügellose Leidenschaft der Anfangszeit. Mia nahm das als gegeben hin, schließlich war der Sex mit Stefan immer noch rauschhafter als alles, was sie mit Frank jemals erlebt hatte. Stefan schien das anders zu sehen.
»Ich habe von Arthur seit einem Dreivierteljahr nichts mehr gehört und gesehen«, sagte Mia.
»Aber du arbeitest immer noch für seine Firma. Da müsst ihr doch Kontakt haben.«
»Nein, haben wir nicht. Er hat sich aus seiner Beratertätigkeit für Elbzeug vollkommen zurückgezogen und scheint nur noch als stiller Teilhaber in der Firma zu fungieren. Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt noch in Hamburg lebt.«
»Warum sollte er nicht?«
»Weil er ständig im Ausland gelebt hat. Da liegt es nahe, dass er wieder weggegangen ist. Na, ist ja auch egal«, schloss Mia ungeduldig. »Ich wollte damit nur sagen, dass ich nichts über Arthur weiß und auch nicht daran interessiert bin, mehr zu wissen.«
Stefan sah sie mit einem eigenartigen Blick an. Mia erschrak darüber, wie genau er die feinen Nuancen zwischen ihnen wahrnahm.
Später lag sie wach neben Stefan und dachte an Arthur. Sie hatte ewig nicht an ihn gedacht, jedenfalls nicht so intensiv. Gelegentlich huschte er durch ihre Erinnerungen und löste eine Traurigkeit in ihr aus, die Mia so schnell verdrängte, dass sie kaum etwas davon spürte. Auch jetzt war da wieder dieses leise Sehnen nach den sehr besonderen, ungewöhnlichen Momenten mit Arthur Kessler, dem merkwürdigsten Mann, der ihr jemals begegnet war. Und dem faszinierendsten.
Aber was half es? Arthur war fort. Stefan hingegen lag neben ihr im Bett und schnarchte laut. Als sie sich an ihn kuschelte und die Arme um ihn schlang, spürte sie seine Wärme und seinen Herzschlag. Stefan griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. Mia schloss die Augen. Diese kleinen Momente genügten ihr vollkommen für ihr Glück.
Henny, die Silvester auf Fuerteventura verbracht hatte, begann das neue Jahr verändert. Sie hatte im Urlaub einen Mann kennengelernt, doch statt wie sonst von der großen, alles überdauernden Liebe zu träumen, plagten sie diesmal Ängste und Zweifel. »Rüdiger war zwanzig Jahre verheiratet und hat zwei fast erwachsene Kinder. Bei ihm ist alles so gesetzt, so … erwachsen.«
»Klingt doch super«, stellte Mia fest. »Ein Mann, der zwanzig Jahre verheiratet war, hat garantiert keine Bindungsprobleme. Er haut nicht einfach ab, wenn es schwierig wird.«
»Nein«, sagte Henny kläglich. »Aber vielleicht haue ich ab. Das wirkt alles so ernst.«
»Aber genau das wolltest du doch immer – eine ernste, dauerhafte Beziehung.«
»Ja, schon. Aber so ernst dann vielleicht doch nicht.«
Mia schüttelte lächelnd den Kopf. »Jetzt warte doch erst mal ab. Gib ihm Zeit. Und dir selbst auch. Man muss in unserem Alter nicht gleich entscheiden, ob man zusammen bleibt. Ich finde, dafür kann man sich ruhig etwas Zeit lassen.«
Das beruhigte Henny ein wenig.
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