Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
sagen.
74.
Jessica konnte ihren Partner nirgendwo auftreiben. Sie war bei Byrne zu Hause vorbeigefahren und hatte ihn in allen Cafés, wo er gerne frühstückte, und in seinen Stammkneipen gesucht und gehofft, ihn nicht zu finden. Sie fand ihn auch nicht.
Byrne hatte weder in der Abteilung angerufen noch den Termin für seine offizielle Aussage, wo er in der Nacht von Eduardo Robles’ Ermordung gewesen war, eingehalten. Jessica wusste, dass der Inspector den Bezirksstaatsanwalt beschwichtigt hatte, aber es war überhaupt nicht Byrnes Art, sein Wort nicht zu halten.
Den Rest des Vormittags verbrachte Jessica damit, das Material über Karneval der Tiere zu lesen. Es gab in der Tat vierzehn Sätze, die aber nicht allen Tieren gewidmet waren. Einer hieß Fossilien, ein anderer Pianisten und wieder ein anderer Das Finale. Aus irgendeinem Grund hatte der Mörder acht der Sätze ausgewählt. Allmählich ergab alles einen Sinn.
Alle Opfer hatten mit ungelösten Fällen zu tun. Sie wurden alle des Mordes beziehungsweise der Mitschuld an einem Tötungsdelikt verdächtigt.
Die Verbindung zu einer Gruppe namens Société Poursuite und einem Mann namens George Archer war nicht zu übersehen.
All diese Menschen waren in gewisser Weise schuldig. In den Augen ihres Mörders hatten sie sich alle eines Verbrechens schuldig gemacht. Aber warum gerade diese Personen? Was für eine Verbindung bestand zwischen ihnen? Warum die Fälle von Antoinette Chan, Marcellus Palmer, Marcia Kimmelman und Melina Laskaris? Warum nicht irgendein anderer von den Hunderten ungelösten Fällen in den verstaubten Akten auf den Regalen?
Um ein Uhr rief Jessica bei der Kraftfahrzeugbehörde an. Wenn George Archer einen im Staat Pennsylvania ausgestellten Führerschein besaß, müssten sie ein Foto bekommen können.
Jessica ließ das Mittagessen ausfallen und führte am frühen Nachmittag Telefonate mit dem Labor und der Staatsanwaltschaft. Michael Drummond war am Gericht, doch die Sekretärin versprach ihr, dass er sich bei ihr melden würde.
Um vier Uhr erfuhr Jessica, dass in keinem größeren Hotel im Umkreis von Philadelphia ein George Archer eingecheckt hatte.
Sie rief auch bei Rogers Logan an, dem Leiter der Polizeiwache von Garrett Corners, und bat ihn, an der Archer-Farm vorbeizufahren.
George Archer war nicht nach Hause zurückgekehrt.
Als die erste Hälfte des langen Arbeitstages sich dem Ende neigte, hatte Jessica noch immer keine neue Spur. Die anderen drei leitenden Detectives – Josh Bontrager, Nicci Malone und Dennis Stansfield – waren unterwegs und gingen anderen Spuren nach. Josh sprach mit Angehörigen von Antoinette Chan. Alle hatten wasserdichte Alibis. Nicci Malone verbrachte den Vormittag in Weirton, West Virginia, um mit Marcellus Palmers Sohn und Schwiegertochter zu sprechen. Sie erfuhr nichts, was ihnen irgendwie weitergeholfen hätte. Gott allein wusste, was Stansfield, der von Kevin Byrne geradezu besessen zu sein schien, vorhatte.
Es sah so aus, als herrsche zwischen Byrne und Stansfield erst einmal Waffenstillstand. Vermutlich würde Stansfield noch auf die eine oder andere Weise auf den Zwischenfall reagieren, aber nicht heute Abend. Die Mordkommission hatte anderes zu tun.
Gegen halb sechs fuhr Jessica nach Hause und machte für sich und Sophie rasch etwas zu essen. Nach dem Abendessen lief Sophie in ihrem Kostüm von Fairy, der Schneeflockenfee, stolz durch die Wohnung. Sie sah entzückend aus.
Der Wind frischte auf und wehte das Laub durch die Straßen. Perfektes Halloween-Wetter. Philly hatte es an Halloween noch nie an der richtigen Atmosphäre oder an interessanten Erlebnissen gemangelt.
Es gab die Geistertour, bei der die Teilnehmer im Kerzenschein einen Ausflug nach Society Hill und in den Independence Park unternahmen. Auch eine Tour zur ehemaligen Strafanstalt Eastern State Penitentiary, wo es angeblich spukte, wurde angeboten. Das Mutter Museum und das Wohnhaus von Edgar Allan Poe erfreuten sich ebenfalls großer Beliebtheit.
Philadelphia fühlte sich mit seiner teils grauenhaften Vergangenheit verbunden, bewies aber auch Kreativität. Jessica hatte schon Berichte in den Fernsehnachrichten gesehen, wonach Jugendliche in rosafarbenen Ganzkörperbodys und einem weißen Papierstreifen um den Kopf von Haus zu Haus gingen und »Süßes oder Saures!« riefen. Offenbar verkleidete man sich in Philly jetzt am liebsten als Opfer des Serienmörders.
Jessica ging recht früh mit Sophie auf Halloween-Tour.
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