Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
noch größeren Verrenkungen gelang es ihm schließlich, eine Visitenkarte herauszusuchen. Er grinste übers ganze Gesicht, als wäre das ein besonders witziger Einfall.
Jessica fand das gar nicht lustig.
»Sieht so aus, als hieße ich Barry Swanson«, sagte er dann.
Sie reichte Barry Swanson sein Namensschild und ein Programm. Swanson ließ sofort alles auf den Boden fallen. Tolonen hob die Sachen auf und heftete das Namensschild ans Revers seines schwankenden Freundes.
»Entschuldigung«, sagte Bowman zu Jessica. »Er arbeitet als Chemiker bei der Kriminaltechnik. Er kommt nicht oft raus.«
Jessica schaute den drei Männern nach und fragte sich, wie man mit solchen Leuten Kriminalfälle lösen konnte.
Als Jessica von einem Detective der Sondereinheit abgelöst wurde, einer Frau vom Polizeibezirk West namens Deena Yeager, ging sie zur Rezeption und nahm die überfüllte Lobby in Augenschein. David Albrecht hatte keine Genehmigung erhalten, im großen Konferenzsaal zu filmen. In der Lobby und auf der Straße durfte er jedoch Aufnahmen machen. Jessica sah, dass es ihm gelungen war, ein paar recht prominente Leute für ein Interview zu gewinnen.
Fast alle im Raum hatten eine Verbindung zu den Strafverfolgungsbehörden. Unter ihnen befanden sich Detectives im Ruhestand, Anklagevertreter, Kriminaltechniker aller Fachrichtungen, Männer und Frauen, die hauptberuflich Fingerabdrücke, Haare, Fasern, Blut und Dokumente untersuchten. Auch Pathologen, Anthropologen, Psychologen, Verhaltensforscher und Mathematiker waren dabei. Jessica hatte gehört, dass sogar eine kleine Gruppe von der Keishi-chō, der Polizei von Tokio, gekommen war.
Hell Rohmer und Irina Kohl waren ebenfalls anwesend und taten so, als wären sie lediglich Kollegen. Man brauchte kein erfahrener Detective zu sein, um zu erkennen, dass sich ab und zu ihre Hände berührten und sie sich hin und wieder verliebte Blicke zuwarfen. Jessica sah Richter, Anwälte, Gerichtsvollzieher und eine Handvoll Staatsanwälte.
Kevin Byrne war noch immer nicht aufgetaucht.
75.
Lucy Doucette stand am Ende des Korridors im zwölften Stock.
Ihre Schicht endete um halb sieben, aber sie hatte Audrey Balcombe gefragt, ob sie noch ein paar Plusstunden sammeln könne. Es stellte sich tatsächlich heraus, dass drei Gäste gebeten hatten, ihre Zimmer zwei Mal täglich zu reinigen. Lucy nahm an, dass diese Leute in Laboren oder bei der Kriminaltechnik arbeiteten und eine ausgeprägte Phobie vor Keimen hatten. Ihr sollte es recht sein. Jedenfalls konnte sie zwei Stunden länger bleiben. Jetzt schlug sie nur noch die Zeit tot.
Sobald sie ihre Schlüsselkarte in das elektronische Schloss der Tür 1208 steckte, wurde die Zeit registriert. Lucy hatte wahnsinnige Angst, noch einmal das Zimmer zu betreten, doch sie litt schon so lange unter dieser Angst, dass das fast keine Rolle mehr spielte.
Sie warf einen Blick über die Schulter. Der Gang war menschenleer, aber Lucy war sich bewusst, dass sie genau genommen nicht allein war. Sie war einmal im Überwachungsraum gewesen und hatte die großen Monitore gesehen. Das Personal wusste, wo die Kameras hingen, jedenfalls jene, die sichtbar an der Decke angebracht waren. Am Ende eines jeden Flurs standen ein Sideboard und ein Spiegel, und Lucy fragte sich immer, ob es sich um Spiegelglasscheiben handelte, hinter denen Kameras versteckt waren.
Ehe sie es sich anders überlegen konnte, klopfte sie an die Tür von Zimmer 1208.
»Zimmerservice.«
Keine Reaktion. Sie klopfte erneut und wiederholte das Wort. Stille. Lucy drückte das Ohr an die Tür. Sie hörte keinen Fernseher, kein Radio, keine Gespräche. Die Vorschrift lautete, dass man zwei Mal klopfte und »Zimmerservice« rief und dann eintrat. Lucy versuchte es ein letztes Mal. Als sie keine Antwort erhielt, schob sie die Karte in den Schlitz und öffnete langsam die Tür. »Zimmerservice«, sagte sie noch einmal im Flüsterton und trat dann ein. Als die Tür mit einem lauten Klicken hinter ihr zufiel, wusste Lucy, dass das Schloss unwiderruflich registriert hatte, dass sie sich in Zimmer 1208 aufhielt.
Das Zimmer sah genauso aus wie beim letzten Mal. Niemand hatte etwas aus der Minibar herausgenommen, niemand im Bett geschlafen, niemand etwas in den Papierkorb unter dem Schreibtisch geworfen. Lucy sah ins Badezimmer. Auch dort hatte sich nichts verändert. Die Seifenstücke waren nicht ausgepackt, und das erste Blatt Toilettenpapier war noch immer so gefaltet, dass eine Spitze nach
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