Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Dieses Jahr war es anders. In Reihenhaussiedlungen Süßigkeiten zu sammeln war keine besonders große Herausforderung. Innerhalb einer Stunde klingelte Sophie an etwa hundert Türen. Sie kam mit zwei prall gefüllten Kopfkissen nach Hause.
Während Sophie ihre Ausbeute auf dem Boden des Wohnzimmers sortierte, stellte Jessica sich unter die Dusche und bereitete sich auf den Undercover-Einsatz im Hotel vor.
Ehe sie das Haus verließ, schaute sie im Korridor in den Spiegel. Nicht schlecht, dachte sie. Das schlichte schwarze Kleid stand ihr ausgezeichnet, war aber ein bisschen zu eng. Es war an der Zeit, nicht mehr so oft Cannoli von Termini’s zu essen.
Die Waffe zu verstecken stellte natürlich ein Problem dar. Obwohl sie in vielerlei Hinsicht das perfekte Accessoire war, sahen die meisten Designer bei ihren Schnitten nicht vor, unter der Kleidung unauffällig eine Waffe mitzuführen. Es gab noch nie eine »Smith & Wesson«-Kollektion von Dior, und auch Vivienne Westwood würde sicherlich keine Kleider für Glocks präsentieren.
Um auf der sicheren Seite zu sein, packte Jessica eine Jeans und ein Kapuzenshirt in einen kleinen Rucksack und legte ihn in den Wagen. Sie hatte keine Ahnung, wie der heutige Abend ausgehen würde.
Das Team traf sich im Überwachungsraum von Le Jardin. Es waren insgesamt zehn Detectives, darunter auch Josh Bontrager, Dennis Stansfield, Nicci Malone und Nick Palladino. Die meisten trugen Zivil, aber einige auch die Blousons mit dem PPD-Logo.
John Shepherd erklärte ihnen genau den Grundriss der einzelnen Etagen, die Standorte der Überwachungskameras und die Notfallpläne des Hotels. Sie sprachen kurz über das Programm des Abends, auf dem ein feudales Abendessen, zahlreiche Redner und eine Grundsatzrede des Justizministers des Staates Pennsylvania standen. Daneben fanden in den kleineren Konferenzräumen verschiedene Diskussionsrunden und Präsentationen statt. Shepherd zufolge hielten sich fast tausend Personen im Hotel auf – das Personal vor und hinter den Kulissen nicht mitgezählt.
Jessica sah immer wieder zur Tür. Byrne tauchte nicht auf.
Nach der Einweisung durch John Shepherd wandte Dana Westbrook sich an die Sondereinheit. Sie hatte von der Kraftfahrzeugbehörde mehr als siebzig Fotos von Männern namens George Archer erhalten. Keiner der Führerscheine war auf den Mann ausgestellt, der die Archer-Farm bewirtschaftete. Die Mitarbeiter des Sheriff-Büros zeigten die Fotos ebenso wie die Detectives von der Staatspolizei Pennsylvania Nachbarn und Geschäftsleuten in der Gegend und hofften, jemanden zu finden, der den Betreiber der Archer-Farm erkannte.
In der ersten Stunde arbeitete Jessica am Empfangstisch gleich neben dem Eingang zum Crystal Room. Auf dem langen Konferenztisch, der mit weißen Tischtüchern bedeckt war, lagen ein paar Hundert Namensschilder, Programme und Anstecknadeln mit dem Slogan: Wer nicht verfolgt wird, kommt davon.
Während die Menschen sich anstellten, beobachtete Jessica ihre Bewegungen und ihr Verhalten. Die Mitglieder der Gruppe machten insgesamt einen seriösen Eindruck – konservativ gekleidet, ruhig und höflich. Innerhalb einer Stunde gab Jessica mehr als fünfzig Namensschilder aus.
Um acht Uhr kamen drei Männer von der anderen Seite der Lobby an ihren Tisch, von denen einer ziemlich betrunken war. Es waren leger gekleidete Weiße in den Vierzigern. Als sie sich näherten, bemühte sich der Kleinste von ihnen – der Betrunkene –, seinen Blick auf den Tisch, die Namensschilder und Jessica zu richten.
»Brrr!«, lallte er.
»Guten Tag«, sagte Jessica.
»Mein Name ist Jukka Tolonen«, sagte der große blonde Mann.
»Jay Bowman«, stellte der andere sich vor. Jessica suchte die Namensschilder heraus und reichte sie ihnen zusammen mit einem Programm.
»Danke«, sagten die beiden Männer im Chor, die sich offenbar ein bisschen für ihren Freund schämten.
»Wissen Sie«, sagte der Betrunkene. »Ich war vor ungefähr fünf Jahren auf diesem Kongress. Die meisten Frauen sahen aus wie Mrs. Marble.«
Jessica war ganz sicher, dass er Miss Marple meinte. »Wie ist Ihr Name?«, fragte sie.
Der Mann schaute seine Freunde an. »Habt ihr das gehört? Sie hat mich nach meinem Namen gefragt, Jungs. Sie will mich anbaggern!«
»Ich glaube, sie will dir dein Namensschild geben«, sagte Tolonen mit einem starken Akzent. Möglicherweise ein Finne.
»Oh.«
Der Betrunkene langte umständlich in die Tasche und zog seine Brieftasche heraus. Mit
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