Echo Einer Winternacht
mitten in der Nacht lag der Schnee ziemlich hoch. Deshalb war es für mich eine ruhige Nacht gewesen. Wegen des Wetters blieben die meisten Menschen zu Hause. Dann sah ich gegen vier Uhr eine Gestalt, die mir aus dem Schnee entgegenkam. Ich stieg aus, und ehrlich gesagt überlegte ich einen Moment, ob mich ein betrunkener Spinner angreifen wollte. Der junge Mann war außer Atem, überall blutbefleckt, und Schweiß lief ihm übers Gesicht. Er stieß hervor, dass auf dem Hallow Hill ein Mädchen überfallen worden sei.«
»Sie müssen schockiert gewesen sein«, gab Jackie ihm das Stichwort.
»Zuerst hielt ich es für einen Streich betrunkener Studenten.
Aber er blieb beharrlich dabei. Er sagte mir, er habe sie im Schnee gefunden, und sie blute stark. Mir war ziemlich bald klar, dass er wirklich sehr aufgeregt war und mir nichts vorspielte. Ich rief also die Wache an und sagte den Kollegen, dass ich der Meldung über eine verletzte Frau auf dem Hallow Hill nachgehen würde. Ich ließ den jungen Mann einsteigen …«
»Das war Alex Gilbey, nicht wahr?«
Lawson hob die Augenbrauen. »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe die Zeitungsartikel gelesen, sonst nichts. Sie haben also Gilbey zum Hallow Hill zurückbegleitet? Was haben Sie dort vorgefunden?«
Lawson nickte. »Als wir hinkamen, war Rosie Duff tot. Noch drei andere junge Männer standen um die Leiche herum. Es war dann meine Aufgabe, den Tatort abzusperren und Verstärkung per Funk anzufordern. Ich verlangte Unterstützung durch Streifen-und Kriminalpolizei und brachte die vier Zeugen vom Tatort weg wieder den Hügel runter. Ich gebe zu, ich war völlig ratlos. So etwas hatte ich noch nie gesehen und wusste zu dem Zeitpunkt nicht, ob ich mit vier Mördern im Schneesturm stand.«
»Wenn sie sie getötet hätten, wären sie aber doch bestimmt nicht losgerannt, um Hilfe zu suchen?«
»Das ist nicht gesagt. Es waren intelligente junge Männer, die durchaus in der Lage gewesen wären, einen raffinierten Doppeltrick abzuziehen. Ich sah es als meine Aufgabe an, nichts darüber zu sagen, dass ich einen Verdacht hatte, aus Angst, dass sie in die Nacht hinauslaufen und uns ein noch größeres Problem bereiten könnten. Schließlich hatte ich keine Ahnung, wer sie waren.«
»Sie hatten wohl Erfolg, denn sie warteten ja, bis Ihre Kollegen kamen. Was ist dann geschehen? Rein vom Ablauf her, meine ich.« Jackie hörte pflichtschuldig zu, und Lawson berichtete alles, was am Fundort bis zu dem Zeitpunkt geschah, als er die vier jungen Männer zur Polizeiwache brachte.
»Das war eigentlich schon mein direkter Anteil an dem Fall«, schloss Lawson seinen Bericht. »Alle nachfolgenden Befragungen wurden von den Kollegen der Kripo gemacht. Sie mussten Männer von anderen Abteilungen anfordern, selbst hatten sie nicht genug Personal, um einen Fall wie diesen zu bearbeiten.« Lawson schob seinen Stuhl zurück. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich werde DC Pirie herauf-kommen lassen, die Sie abholen kann. Sie kann den Fall besser mit Ihnen durchgehen.«
Jackie nahm ihren Kassettenrekorder, schaltete ihn aber nicht ab. »Sie haben die Nacht ja sehr genau in Erinnerung«, sagte sie mit Bewunderung in der Stimme.
Lawson drückte auf den Knopf der Sprechanlage. »Bitten Sie Karen heraufzukommen, ja, Margaret?« Er warf Jackie ein Lächeln befriedigter Eitelkeit zu. »Man muss in diesem Beruf akribisch sein«, sagte er. »Ich habe mir immer sorgfältig Notizen gemacht. Aber Sie dürfen nicht vergessen, Mord kommt in St. Andrews ziemlich selten vor. Wir hatten in den zehn Jahren, die ich dort Dienst tat, nur eine Hand voll solcher Vorfälle. Deshalb blieb mir natürlich alles im Gedächtnis.«
»Und Sie kamen nie so weit, dass jemand verhaftet werden konnte?«
Lawson presste die Lippen aufeinander. »Nein. Und das ist für einen Polizisten sehr schwer zu verkraften. Alles deutete auf die vier jungen Männer hin, die die Leiche gefunden hatten, aber es gab nur Indizienbeweise gegen sie. Weil die Leiche an der bewussten Stelle gefunden wurde, hatte ich den Verdacht, dass es eine Art heidnischer Ritualmord gewesen sein könnte. Aber diese Idee brachte nichts, und in unserem Revier ist so was auch nie wieder passiert. Es tut mir leid sagen zu müssen, dass Rosie Duffs Mörder ungeschoren davongekommen ist. Oft werden natürlich Männer, die ein derartiges Verbrechen begehen, später zu Wiederholungstätern. So könnte er nach
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