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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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dich runterfallen lassen.«
    »Ich kann das nicht.«
    Brian zuckte die Achseln. »Du hast die Wahl. Du kannst mit dem Kopf oder mit den Füßen voran fallen, aber du wirst fallen.
    Außer wenn du bereit wärst, mir die Wahrheit zu sagen.«
    »Ich hab dir die Wahrheit gesagt«, schrie Ziggy. »Du musst mir glauben.«
    Brian schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was die Wahrheit ist, wenn ich sie höre. Alles klar, Donny?«
    Ziggy versuchte auszubrechen, aber sie hatten ihn sofort wieder in ihrer Gewalt. Sie drehten ihn schnell mit dem Gesicht zur Mauer, nahmen dann jeder ein Bein und hoben ihn schwankend hoch. Er wagte nicht, sich zu wehren, denn er wusste, wie wenig geschützt das Rückenmark oben am Schädelansatz ist, und wollte nicht, dass es mit einer Querschnittslähmung endete. Schließlich hing er wie ein Kartoffelsack über der Mauer. Langsam und unendlich vorsichtig arbeitete er sich in eine Position, dass er zuerst ein Bein auf der anderen Seite hatte. Dann drehte er sich noch langsamer, bis das andere Bein oben war. Von seinen aufgeschürften Knöcheln schoss von neuem ein brennender Schmerz durch seine Arme. »Na los, du Dreckskerl«, rief Brian ungeduldig. Er zog sich an der Mauer hoch, war innerhalb von Sekunden neben Ziggys Fuß und stieß ihn brutal zur Seite, so dass er das Gleichgewicht verlor. Ziggys Blase entleerte sich, als er rückwärts durch die Luft flog, und der Schreck ließ seinen Adrenalinpegel noch höher steigen. Er landete schwerfällig auf den Füßen, und seine Knie und Fußgelenke gaben unter der Belastung nach. Zusammengekauert lag er auf dem Boden, vor Scham und Schmerz brannten Tränen in seinen Augen. Brian sprang neben ihm herunter. »Gut gemacht, Kenny«, sagte er und nahm den Strick.
    Donnys Gesicht erschien oben über der Mauer. »Sagst du mir vielleicht mal, was das werden soll?«, verlangte er zu wissen.
    »Die Überraschung verderben? Kommt nicht in Frage.« Brian riss am Strick. »Komm, Dreckskerl. Wir machen ’nen Spaziergang.«
    Sie kletterten den grasbewachsenen Hang hinauf zu den niedrigen Resten der Ostmauer der Burgruine. Ziggy stolperte und fiel ein paarmal, aber es waren immer Hände da, die ihn wieder hochzogen. Sie stiegen über die Mauer und waren im Burghof. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und umhüllte sie mit seinem schaurigen Glanz. »Mein Bruder und ich, wir sind als Kinder immer so gerne hierher gekommen«, sagte Brian und ging langsamer. »Die Kirche hat diese Burg gebaut. Kein König. Hast du das gewusst, Dreckskerl?«
    Ziggy schüttelte den Kopf. »Ich bin noch nie hier gewesen.«
    »Hättest du aber sollen. Es ist toll. Eine Trutzburg und ihr Gegenstück. Zwei der größten Festungsbauten der Welt.« Sie wandten sich nach Norden, der Küchenturm stand rechts von ihnen und der Seeturm zur Linken. »Es war ein eindrucksvolles Gebäude. Ein Wohnsitz und eine Festung.« Er drehte sich zu Ziggy um und ging rückwärts weiter. »Und es war ein Gefängnis.«
    »Warum sagst du mir das?«, fragte Ziggy.
    »Weil es interessant ist. Sie haben hier auch einen Kardinal ermordet, haben ihn getötet und dann seine nackte Leiche an den Burgmauern aufgehängt. Ich wette, darauf wärst du nie gekommen, was, du Dreckskerl?«
    »Ich hab deine Schwester nicht umgebracht«, wiederholte Ziggy.
    Inzwischen waren sie am Eingang des Seeturms angekommen.
    »Es gibt hier im unteren Teil zwei Gewölbe«, sagte Brian beiläufig und führte sie nach drinnen. »Das im Osten ist fast so interessant wie die Burg und ihr Gegenstück. Und weißt du auch, warum?«
    Ziggy stand schweigend da. Aber Kenny beantwortete die Frage für ihn. »Du willst ihn doch nicht in das Flaschenverlies bringen?«
    Brian grinste. »Gut geraten, Kenny. Du wirst Klassenbester.«
    Er zog ein Feuerzeug aus seiner Tasche. »Donny, gib mir deine Zeitung.«
    Donny hielt ihm einen Evening Telegraph hin, den er aus seiner Innentasche genommen hatte. Brian rollte ihn fest zusammen, zündete ein Ende an und ging in den östlichen Raum. Beim Schein der behelfsmäßigen Fackel sah Ziggy ein Loch im Boden, über dem ein schweres Eisengitter lag. »Sie haben eine Höhle in den Fels gebohrt. Sie hat die Form einer Flasche. Und sie ist tief.«
    Donny und Kenny sahen sich an. Für ihren Geschmack wurde die Sache jetzt etwas zu ernst. »Warte, Brian«, widersprach Donny.
    »Was? Ihr seid doch diejenigen, die gesagt haben, Schwule zählen nicht. Los, helft mir.« Er band das eine Ende von Ziggys Strick an das Gitter.

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