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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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»Wir werden zu dritt anpacken müssen, um das abzunehmen.«
    Sie packten das Gitter und machten sich stöhnend und ächzend an die Arbeit. Eine lange hoffnungsvolle Minute dachte Ziggy, sie würden es nicht hochheben können. Aber schließlich bewegte es sich mit dem rauen Knirschen von Eisen auf Stein.
    Sie zogen es zur Seite und kamen wie ein Mann auf Ziggy zu.
    »Hast du mir was zu sagen?«, fragte Brian Duff.
    »Ich hab deine Schwester nicht umgebracht«, sagte Ziggy verzweifelt. »Meinst du wirklich, du kannst damit durchkommen, dass du mich in ein verdammtes Verlies schmeißt und mich dort sterben lässt?«
    »Die Burg ist im Winter an den Wochenenden geöffnet. Bis dahin sind es nur zwei Tage. Du wirst nicht sterben. Na ja, jedenfalls wahrscheinlich nicht.« Er stieß Donny in die Rippen und lachte. »Okay, Jungs, los geht’s.«
    Sie nahmen Ziggy in die Mitte und beförderten ihn zu der schmalen Öffnung. Er trat wütend um sich und versuchte zu entkommen. Aber drei gegen einen, sechs Hände gegen keine, da hatte er keine Chance. Innerhalb von Sekunden saß er mit frei baumelnden Beinen am Rand des runden Lochs. »Tu das nicht«, sagte er. »Bitte, tu das nicht. Sie werden dich lange Zeit dafür einsperren. Tu’s nicht, bitte.« Er schniefte und kämpfte gegen die ihn erstickenden Tränen der Angst an. »Ich flehe dich an.«
    »Sag mir einfach die Wahrheit«, verlangte Brian. »Es ist deine letzte Chance.«
    »Ich hab’s doch nicht getan«, schluchzte Ziggy. »Ich war’s nicht.«
    Brian trat ihm ins Kreuz, und er fiel ein paar Meter tief, wobei seine Schultern schmerzhaft gegen die Steinmauern des engen Trichters schlugen. Dann gab es einen Ruck, der Strick zog sich fester zusammen und schnitt ihm qualvoll in den Bauch. Brians Gelächter hallte zu ihm herunter. »Hast du gedacht, wir würden dich ganz runterwerfen?«
    »Bitte«, schluchzte Ziggy. »Ich hab sie nicht umgebracht. Ich weiß nicht, wer sie getötet hat. Bitte …«
    Jetzt war er wieder in Bewegung, der Strick wurde langsam ruckweise hinuntergelassen. Er meinte, er würde ihn in der Mitte zerschneiden. Über sich hörte er das schwere Atmen der Männer und hin und wieder einen Fluch, wenn bei einer unvorsichtigen Bewegung der Strick glühend heiß durch eine Hand rutschte. Er sank langsam tiefer in die Dunkelheit hinab, das schwache Flackern von oben verblasste in der dumpfigen, eiskalten Luft.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Schließlich kam ihm die Luft anders vor, und er stieß nicht mehr an die Seitenwand. Die Flasche wurde nach unten bauchig. Sie taten es wirklich. Sie würden ihn wirklich hier zurücklassen. »Nein«, schrie er, so laut er konnte. »Nein.«
    Seine Zehen berührten festen Boden, und endlich lockerte sich der Strick, der sich in seinen Bauch eingegraben hatte. Eine misstönende, geisterhafte Stimme schallte von oben herunter.
    »Letzte Chance, Mistkerl. Gib’s zu, und wir ziehen dich hoch.«
    Es wäre so leicht gewesen. Aber es wäre eine Lüge gewesen, die ihn in unmögliche Situationen gebracht hätte. Selbst um sich zu retten, konnte Ziggy sich nicht Mörder nennen. »Du irrst dich«, rief er mit der letzten Kraft seiner erschöpften Lunge.
    Der Strick landete auf seinem Kopf, das zusammengerollte Knäuel war erstaunlich schwer. Er hörte ein letztes höhnisches Lachen, dann war es still. Absolute, überwältigende Stille. Das Fünkchen Licht am oberen Rand des Schachts war verschwunden. Er war in völliger Dunkelheit eingeschlossen.
    Sosehr er seine Augen auch anstrengte, er konnte überhaupt nichts sehen. Sie hatten ihn in die absolute Finsternis geworfen.
    Ziggy tastete sich zu einer Seite. Er konnte nicht sagen, wie weit er von der Mauer entfernt war, und wollte mit seinem wunden Gesicht nicht an den Fels stoßen. Er erinnerte sich, dass er einmal etwas über weiße Krabben gelesen hatte, die sich in einer unterirdischen Höhle entwickelt hatten. Irgendwo auf den Kanarischen Inseln, meinte er. Generationen des Lebens in Dunkelheit hatten die Augen überflüssig gemacht. Das war er geworden, eine blinde weiße Krabbe, die sich in der Undurchdringlichkeit seitwärts bewegte. Die Mauer war schneller erreicht, als er dachte. Er wandte sich um, tastete mit den Fingerspitzen den rauen Sandstein ab und kämpfte gegen die Panik an, indem er sich auf die physischen Verhältnisse seiner Umgebung konzentrierte. Er konnte sich nicht erlauben, darüber nachzudenken, wie lange er hier sein würde. Sonst würde er verrückt

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