Echo gluecklicher Tage - Roman
Beileid bekundet, und Beth wurde das Gefühl nicht los, dass sie es nicht aus Mitgefühl getan hatten, sondern um an Informationen zu kommen, die sie weitertratschen konnten. Vater Reilly hatte sie besucht, doch obwohl er freundlich gewesen war, hatte er sofort erklärt, dass Frank Bolton nicht in heiliger Erde bestattet werden könne, weil es eine schwere Sünde sei, wenn ein Mann sich das Leben nehme.
Die Ergebnisse der Untersuchung würden in der Zeitung stehen, und alle ihre Freunde und Nachbarn würden es lesen und ihnen danach aus dem Weg gehen. Sie fand es grausam und feige von ihrem Vater, dass er ihnen allen das angetan hatte. Und sie glaubte nicht, dass ihre Mutter das Haus jemals wieder verlassen würde.
Fünf Tage nach dem Tod ihres Vaters saß Beth in der Stube und nähte schwarze Kleider für sich und ihre Mutter. Draußen schien die Sonne, aber sie musste die Vorhänge traditionell geschlossen halten, und es war so dunkel im Zimmer, dass sie den Faden kaum in die Nadel einfädeln konnte.
Beth hatte immer gerne genäht, aber da ihre Mutter nicht aufstand, um ihr zu helfen, musste sie die Schnittmuster selbst heraussuchen, den Stoff auf dem Tisch in der Stube zuschneiden und die Kleider alleine nähen, denn ohne anständige Trauerkleider würden sie noch mehr in Verruf geraten.
Alles hätte sie dafür gegeben, ihre Geige herausholen und spielen zu können, denn sie wusste, dass sie sich in der Musik verlieren und vielleicht Trost darin finden konnte. Aber ein Musikinstrument so kurz nach einem Trauerfall zu spielen schickte sich nicht.
Wütend legte Beth das Nähzeug weg und ging zum Fenster, wo sie den Vorhang nur ein oder zwei Zentimeter aufzog und hinunter auf die Church Street sah.
Wie immer war die Straße voller Menschen. Die Omnibusse, Droschken, Pferdewagen und Kutschen hinterließen große Haufen Pferdeäpfel, und der Gestank war wegen des warmen Sonnenscheins übler als sonst. Wohlhabende Damen in eleganten Kleidern und mit hübschen Hüten gingen in Begleitung von Gentlemen mit hohen Kragen und Zylindern vorbei. Es gab seriös dunkel gekleidete, matronenhafte Haushälterinnen mit Körben voller Obst und Gemüse und hier und da junge Mädchen, vielleicht Hausmädchen, die einen Nachmittag frei hatten und verträumt in die Schaufenster sahen.
Aber es gab auch sehr viele arme Leute. Ein einbeiniger Mann auf Krücken bettelte vor Bunney’s, dem Laden an der Kreuzung, die allgemein als Heilige Kreuzung bekannt war, weil dort die Lord Street, die Paradise Street, die Chapel Street und die Church Street aufeinandertrafen. Müde aussehende Frauen hielten Babys auf dem Arm, kleinere Kinder liefen hinter ihnen her, und zerzauste Gassenjungen mit schmutzigen Gesichtern lungerten barfuß herum, vielleicht auf der Suche nach etwas, das sie stehlen konnten.
Vor der Fleischerei gegenüber stand eine Schlange, und weil die Sonne so warm schien, sahen die Frauen entspannt aus und schienen es nicht eilig zu haben. Sie unterhielten sich miteinander, während sie darauf warteten, bedient zu werden. Doch noch während Beth dastand, sah sie, wie zwei Frauen sich umdrehten und direkt zu den Fenstern über dem Laden hinaufblickten, und ihr wurde klar, dass sie gerade erfahren haben mussten, dass der Schumacher sich erhängt hatte.
Tränen schossen ihr in die Augen, denn sie wusste, dass das Gerede nach der Beerdigung noch schlimmer werden würde. Die Leute konnten so grausam sein, freuten sich immer über das Unglück der anderen. Sie konnte förmlich hören, wie sie sagten, dass die Boltons sich immer für etwas Besseres gehalten hatten und dass Frank sich zweifellos umgebracht hatte, weil er verschuldet war. Beth wünschte beinahe, dass das der Grund war; zumindest hätte sie das verstehen können.
Sie wandte sich vom Fenster ab und ließ den Blick durch die Stube schweifen. Das Zimmer war der ganze Stolz ihrer Mutter: Alles darin, von dem gemusterten viereckigen Teppich auf dem Boden und den Porzellanhunden neben dem Kamin bis hin zu den harten, ungemütlichen Sesseln mit den Knöpfen an der Lehne und den schweren Vorhängen, war eine Kopie von Dingen, die Alice als Küchenmagd in den großen Häusern gesehen hatte.
Auch ein Klavier hatte sie unbedingt haben wollen; es war von sechs Männern durch das Fenster hereingehievt worden. Beths Eltern konnten das Instrument beide nicht spielen, aber für ihre Mutter war es ein Zeichen von Vornehmheit gewesen, deshalb musste Beth es lernen. Sie bezweifelte
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