Echt zauberhaft
taumelte er wie betrunken, dann gelang es ihm, sich
der Mauer bis auf einen knappen Meter zu nähern, ohne daß er erneut
mit ihr kollidierte.
Er hob die Hand, und mit rotem Schlamm, der nun als Farbe fungier-
te, schrieb sein zitternder Zeigefinger folgende Worte an die Wand:
Die Menge jubelte und sang hinter Cohen. Mit einem Surfbrett hätte er
auf ihr hin und her gleiten können. Der Regen trommelte weiter auf die
Dächer und strömte in die Höfe.
»Warum sind alle so aufgeregt?« fragte das Oberhaupt der Horde.
»Sie glauben, du willst den Palast plündern«, erwiderte Herr Zervelat-
wurst. »Sie haben von Barbaren gehört, weißt du. Und sie möchten einen
Teil der Beute für sich. Außerdem gefäl t ihnen die Sache mit dem
Schwein.«
»He, du!« rief Cohen einem Jungen zu, der unter dem Gewicht einer
riesigen Vase taumelte. »Laß deine verdammten Pfoten von meinen Sa-
chen! Das Ding ist wertvoll! Es… äh…«
»Stammt aus der S’ang-Dynastie«, sagte Herr Zervelatwurst.
»Genau«, bestätigte die Vase.
»Das Ding stammt aus der S’ang-Dynastie! Stell es zurück! Und ihr an-
deren da…« Cohen drehte sich um und winkte mit dem Schwert. »Zieht
die Schuhe aus! Sie zerkratzen den Boden! Seht nur, was ihr angerichtet
habt!«
»Gestern wäre dir der Boden völ ig gleich gewesen«, brummte Krie-
cher.
»Gestern gehörte er noch nicht mir.«
»Doch«, widersprach Herr Zervelatwurst.
»Er gehörte mir nicht richtig«, sagte Cohen. »Es fehlte… äh… das Ritu-al der Eroberung. Blut. Die Leute verstehen Blut. Wenn man sich ein-
fach nur auf den Thron setzt und behauptet, der neue Kaiser zu sein…
Das nimmt niemand ernst. Aber Meere aus Blut… Das macht sofort
alles klar.«
»Berge von Totenschädeln«, meinte Kriecher anerkennend.
»So ist es in der Geschichte«, fuhr Cohen fort. »Wann immer man…
He, du da, mit dem Hut, das ist mein…«
»Shibo Yangcong -Tisch mit Mahagoni-Einlegearbeiten«, murmelte Herr
Zervelatwurst.
»…also stell ihn wieder an seinen Platz, kapiert? Nun, wenn es einen
König gab, von dem al e sagen, ›Oh, das war ein wirklich guter König‹,
kann man seine Sandalen darauf verwetten, daß er ein bärtiger Bursche
war, der anderen Leuten den Schädel einschlug und dabei lachte. Aber
bei einem König, der anständige Gesetze erließ und Bücher las und ver-
suchte, intelligent auszusehen, sagen die Leute: ›Oh, er war ganz nett,
noch etwas feucht hinter den Ohren, nicht das, was ich einen richtigen
König nenne.‹ Tja, so sind die Leute eben.«
Herr Zervelatwurst seufzte.
Cohen grinste und schlug ihm so fest auf den Rücken, daß er gegen
zwei Frauen stieß, die eine Bronzestatue von Ly Schwatzmaul forttragen
wollten.
»He, Lehrer, kannst dich nicht an diese Vorstel ung gewöhnen, was?
Die Realität ist zu bitter für dich. Nun, sei unbesorgt. Du bist eben kein
Barbar. Stell die Statue zurück, Verehrteste, sonst bekommst du die flache Seite meines Schwerts zu spüren!«
»Ich dachte, wir könnten die Macht erringen, ohne daß jemand leiden
muß. Allein mit unserem Verstand.«
»So funktioniert die Geschichte leider nicht. Erst das Blut, dann der
Verstand.«
»Berge von Totenschädeln«, sagte Kriecher.
»Es muß eine bessere Möglichkeit geben als den Kampf«, entgegnete
Herr Zervelatwurst.
»O ja. Viele. Aber sie sind al e ungeeignet. Caleb, nimm dem Kerl dort
die…«
»… erlesenen Bhong-Jadefiguren…«, murmelte Herr Zervelatwurst.
»… ja, nimm sie dem Kerl ab. Er hat eine unter dem Hut versteckt.«
Eine weitere mit üppigen Schnitzereien verzierte Tür schwang auf. In
dem Raum dahinter befanden sich bereits ziemlich viele Personen. Sie
wichen zurück und versuchten, unschuldig zu wirken, während sie Co-
hens Blick mieden.
Als sie zurücktraten, blieb Sechs Wohltätige Winde allein in der Mitte
des Saals stehen. Die Höflinge beherrschten dieses Manöver perfekt.
»Berge von Totenschädeln«, wiederholte Kriecher noch einmal. Wenn
er sich einmal an ein Konzept gewöhnt hatte, gab er es nicht so schnell
auf.
»Äh… wir haben gesehen, wie die Rote Armee aus dem Boden kam…
äh… so wie es die Legende berichtet. Äh… du bist wahrhaftig die Präin-
karnation von Eins Sonnenspiegel.«
Der Steuereintreiber hatte wenigstens den Anstand, verlegen zu wir-
ken. Das rhetorische Niveau seiner kleinen Ansprache ließ sich am be-
sten mit jenen Reden vergleichen, deren erste Worte lauteten: »Du
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