Echte Morde
küsste ihn, ehe er sich wehren konnte. Er erwiderte meinen Kuss recht hastig und kletterte zurück ins Auto, um seinen Koffer zu holen und, was wesentlich wichtiger war, die große Mülltüte mit dem absolut unentbehrlichen Spielzeug. „Das bringe ich schon mal hoch in mein Zimmer!", teilte er Vater mit, der ihn mit unverhohlenem Stolz anstrahlte.
„Ich muss weiter, mein Sohn", sagte mein Vater. „Deine Mutter möchte losfahren. Du bist nett zu deiner großen Schwester, tust, was sie dir sagt und machst keinen Ärger, ja?"
Phillip hatte nur halb zugehört. „Klar, Dad!", murmelt er und schleppte seinen Krempel ins Haus.
Vater lachte. „Püppchen, es ist nett von dir, ihn aufzunehmen", sagte er, als Phillip verschwunden war.
„Ich mag Phillip", entgegnete ich. „Ich habe ihn gern hier."
„Hier sind die Telefonnummern, unter denen du uns erreichen kannst." Vater fischte ein Blatt Papier aus der Hosentasche.
„Wenn etwas schiefläuft, egal was, ruf uns an."
„Natürlich. Aber mach dir keine Sorgen, amüsier dich. Wir sehen uns Sonntagabend?"
„Ja, wir müssten gegen siebzehn, spätestens achtzehn Uhr hier sein. Wenn es später wird, rufen wir an. Vergiss nicht, dass Phillip vor dem Essen beten soll, erinnere ihn bitte daran. Ach ja: Hier ist Aspirin für Kinder, zum Kauen, falls er Fieber bekommt oder so. Er kriegt drei davon, und nachts muss ein Glas Wasser an seinem Bett stehen."
„Ich denke an alles!" Wir umarmten einander, und Vater stieg ins Auto, ein schiefes Grinsen im Gesicht. Er winkte mir kurz zu und ich verstand wieder einmal, warum es Frauen schwerfiel, ihn zu vergessen. Ich sah ihm noch nach, als Phillip aus der Küche nach mir rief, weil er wissen wollte, ob ich Kekse im Haus hätte.
Hatte ich natürlich: seine Lieblingskekse, ein grauenhaftes Zeug mit Cremefüllung. Er bekam zwei und verzog sich glückstrahlend nach draußen, im Schlepptau den Sack mit dem Spielzeug für draußen. Das für „drinnen" hatte er einfach auf meinem Wohnzimmerteppich deponiert. „Ich spiele draußen", verkündete er ernst. „Du musst ja wahrscheinlich kochen."
Ein eindeutiger Wink mit dem Zaunpfahl: Brav machte ich mich an die Herstellung der Tomatensauce.
Als ich das nächste Mal einen Blick aus dem Fenster warf, um nach ihm zu schauen, sah ich, dass mein Bruder es bereits geschafft hatte, Bankston einzuspannen: Der Bankbeamte musste mit ihm auf dem Parkplatz Ball spielen. Für meine Baseballkünste hatte Phillip nichts als Verachtung übrig, aber Bankston schien seine Zustimmung gefunden zu haben. Mein Nachbar hatte auch sofort die Anzugjacke ausgezogen, wodurch er nicht annähernd so zugeknöpft wirkte wie sonst. Er warf, Phillip hielt den Schläger. Die beiden hatten schon einmal zusammen gespielt, als Phillip zu Besuch gewesen war, Bankston schien das nicht als Zumutung zu empfinden.
Dann kam Robin heim, wurde ebenfalls rekrutiert und fungierte als Phillips Fänger, bis ich vom Gartentor her rief, das Abendessen sei fertig.
„Prima!", schrie Phillip, kam herbeigerannt und lehnte seinen Schläger an die Terrassenmauer. Ich bedachte seine im Stich gelassenen Spielgefährten mit einem entschuldigenden Achselzucken und flüsterte Phillip zu, er solle sich bei Bankston und Robin für das schöne Spiel bedanken. „Vielen Dank!", rief mein Brüderchen denn auch pflichtgemäß, ehe er ins Haus stürzte, um auf seinen Platz an meinem kleinen Esstisch zu klettern.
Auch Bankston ging in sein Haus, wo Melanie ihn wohl schon erwartete: Ich sah ihren Kopf kurz im Türrahmen auftauchen.
Robin sagte: „Ich komme dann später vorbei, zu Kaffee und Pekannusskuchen. Phillip gefällt mir!" Ich sah ihm nach, wie er durch seine Gartenpforte verschwand, und mir wurde ganz warm ums Herz. Weil ich so einen bezaubernden Bruder hatte und weil Robin mir zugelächelt hatte, ein eindeutig liebevolles, sehr persönliches Lächeln.
Die nächsten zwanzig Minuten war ich vollauf mit Phillip beschäftigt: die Serviette, das Tischgebet, das Gemüse, von dem er wenigstens ein paar Bissen probieren sollte. Voller Zuneigung betrachtete ich sein zerzaustes hellbraunes Haar (Phillips Haar war immer zerzaust) und die ungewöhnlichen blauen Augen, so ganz anders als meine. Zwischen großen Bissen Knoblauchbrot und vollen Spaghettigabeln erzählte mir Phillip eine lange, komplizierte Geschichte von einer Schlägerei auf dem Schulhof, an der ein Junge beteiligt gewesen war, dessen Bruder ernsthaft Karate trainierte und ein
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