Echte Morde
Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters bekanntgegeben, brauchte sich über Mangel an öffentlichem Interesse also eigentlich nicht zu beklagen! Es war Freitag, ich hatte das Wochenende frei, Phillip kam, es gab zwei Männer in meinem Leben, für die ich mich interessierte und mehr noch: Beide interessierten sich auch für mich. Was könnte sich eine achtundzwanzigjährige Bibliothekarin sonst noch wünschen?
An diesem Morgen machte ich mich mit großer Sorgfalt zurecht, hatte viel Spaß mit dem Lidschatten und suchte mir aus meinem Schrank die leuchtendste Kombination aus Rock und Bluse heraus. Eindeutig ein Frühlingsensemble, weiß mit gelben Blumen, und ich ließ mein Haar offen, hielt es nur mit einem gelblichen Band aus dem Gesicht.
Zum Frühstück genehmigte ich mir Frühstücksflocken, Toast und sogar noch eine Banane, und auf dem Weg zum Auto trällerte ich ein Liedchen vor mich hin.
„Du wirkst ja sehr frisch und munter heute Morgen", begrüßte mich Bankston, der in einem ehrbaren Anzug steckte, wie es mir fiel ein, dass ich sehr früh am Morgen mitbekommen hatte, wie Melanies Auto unseren Parkplatz verließ.
„Aus gutem Grund! Hast du schon gehört? Jemand hat die Morde gestanden!"
„Wer denn?", wollte Bankston wissen, nachdem er mich einen Augenblick lang fassungslos angestarrt hatte.
„Benjamin." Mist - plauderte ich etwas aus, was ich nicht hätte verraten dürfen? Aber das hätte ich mir früher überlegen müssen. Arthur hatte mich nicht um Stillschweigen gebeten, und ich hatte ihm auch nicht versprochen dichtzuhalten. Robin wusste es ja auch schon, der hätte es bestimmt aus mir rausgeschüttelt, hätte ich nach dem Gespräch mit Arthur einfach aufgelegt und mich geweigert, ihm zu erzählen, worum es ging.
Moment mal: Das mit dem Schütteln war übertrieben! Solche übertriebenen Dinge wollte ich eigentlich gar nicht mehr sagen, noch nicht einmal mehr denken.
Bankston stand wie vom Donner gerührt da. „Aber er war doch letzte Woche erst bei mir! Er wollte einen Kredit für die Kampagne seines Kandidaten! Mist - das hätte ich dir jetzt nicht erzählen dürfen. Aber ich bin einfach... völlig von den Socken!"
„So ging es mir auch", versicherte ich.
„Ich muss schnell Melanie Bescheid sagen!", meinte Bankston, nachdem er kurz nachgedacht hatte. „Sie wird erleichtert sein. Sie hatte es nicht leicht, seit man Mrs. Wrights Handtasche in ihrem Auto fand."
Richtig: In der Kirche zur Märtyrerin erklärt zu werden und einen Heiratsantrag zu bekommen war wirklich harter Tobak!
Aber ich war viel zu glücklich, um noch Neid auf Melanie zu verspüren. Immerhin war ich zweimal mit Bankston ausgegangen und hatte den Mann nicht haben wollen, noch nicht mal auf einem Silbertablett, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Mutter! Noch jemand, der die gute Nachricht hören musste. Wie hatte Pettigrue sie genannt? Eine Symbolfigur der schlimmsten Übel des Kapitalismus? Das würde ihr gefallen! Obwohl es eigentlich ein harter Spruch war, nach all der Arbeit, die Mutter in ihr Geschäft gesteckt hatte. Meine Mutter hatte in den ersten Jahren schwer zu kämpfen gehabt, obwohl es damals ja noch meinen Vater gegeben hatte, der ihr den Rücken stärkte. Er war erst gegangen, als Mutter sich auf dem sicheren Weg zum Erfolg wusste ... stopp - schon wieder hing ich unangenehmen Gedanken nach, ohne es zu wollen. Dies war ein Tag der Freude!
Auf der Arbeit schienen alle Kolleginnen und Ehrenamtliche schon von Benjamins Geständnis gehört zu haben, und ich wurde wieder in die Herde aufgenommen. Lillian ließ mir gegenüber wie gewohnt die Zicke heraushängen, was ich fast schon als wohltuend empfand. Sam Clerrick wagte sich aus seinem Zimmer voller Listen, graphischer Darstellungen und Budgetberechnungen, um mir kurz im Vorübergehen auf die Schulter zu klopfen. Voller Elan stempelte ich Bücherkarten, nahm Geld für verspätetes Zurückgeben mit einem Lächeln statt stummer Missbilligung entgegen, sortierte zurückgegebene Bücher effizient und genau in die Regale. Der Morgen verging nicht einfach, er hüpfte, sprang und tollte munter vorbei.
In der Mittagspause klingelte das Telefon zweimal, während ich die Frühlingsrollen aß, die ich mir in der Mirkowelle heiß gemacht hatte und dabei in einer Enzyklopädie über berühmte Morde des zwanzigsten Jahrhunderts blätterte. Irgendetwas nagte nämlich an mir, ich verspürte das irritierende Gefühl, irgendwann irgendetwas Relevantes gehört oder gesehen
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