Echte Vampire haben Kurven
umarmte sie ein letztes Mal und machte mich auf den Weg. In meinem 1997er Kombi mit dem dreizehn Meter langen Anhänger. Ich weiß, ein flottes kleines Sportcabrio würde besser zu meinem Image passen, aber ich bin eine Sammlernatur. Im Ernst. Ich besitze einen ganzen Berg Krempel, den ich überallhin mitschleppe.
Ich überquerte gerade die Grenze zwischen Arizona und Nevada und sang aus vollem Hals »Don’t Cry for Me, Argentina« (ich liebe Broadway-Musical-Songs), als mein Handy klingelte. Unbekannter Anrufer. Ich ging trotzdem ran.
»Frederick hat behauptet, du würdest nach Texas ziehen.«
Blade. Wer sonst würde automatisch davon ausgehen, dass ich weiß, wer dran ist und auf jegliche Begrüßungsfloskeln verzichten? Wann hatten wir uns zuletzt gesehen? Vor ungefähr vier Jahren, drei Monaten und … Wirst du wohl aufhören mitzuzählen, Glory!
»Spionierst du mir nach, Jerry?« Ich konnte ihn förmlich mit den Zähnen knirschen hören, was mich prompt daran erinnerte, wie er mich damit geschickt gekitzelt hatte … Er schwieg, und ich seufzte. »Ja, ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Warum?«
»Du lässt überhaupt nie von dir hören, Gloriana.«
Ich starrte das Telefon an, als hätte es sich plötzlich in einen Rasierapparat verwandelt. Welche Töne von Jeremy Blade!
»Wer bist du und wo steckt mein …« Ich brach ab. Unsere Beziehung war einfach zu kompliziert.
»Dein Geliebter? Dein Mann?«
»Letzteres definitiv nicht.« Es war typisch Blade gewesen, mir den Antrag erst zu machen, als ich seine liebe Familie und die Einsamkeit der Highlands nicht mehr ertragen konnte. Irgendwann war von einer heidnischen Vermählungszeremonie die Rede gewesen, aber ich bestreite, dass es je dazu gekommen ist. Blade hat übrigens vier Brüder und zwei Schwestern – ist das zu fassen? Angus und Mag, seine Eltern, wurden erst zu Vampiren, nachdem alle Kinder auf der Welt waren, und sie haben ihre Sprösslinge selbst aussuchen lassen, ob sie ebenfalls verwandelt werden wollten oder nicht.
Niemand weiß, wann genau Mutter und Vater Campbell beschlossen haben, sie vor diese Entscheidung zu stellen. Sicher ist nur, dass sich keines ihrer Kinder die Chance auf Unsterblichkeit und ein Dasein als Vampir entgehen ließ. Tja, wer würde in Anbetracht der damaligen kümmerlichen Lebenserwartung schon mit seinem Blut geizen? Pech für mich natürlich. Versucht ihr doch mal, glücklich bis in alle Ewigkeit zu leben, wenn ihr mit neun Vampiren verschwägert seid.
»Was bin ich denn dann?«
»Mein Ex, und das sagt auch schon alles.«
»Du brichst mir das Herz, Baby.«
Baby? Ich traute meinen Ohren nicht. Übrigens ist bei Vampiren auch der Gehörsinn äußerst ausgeprägt, so dass ich unschwer den Hauch eines schottischen Akzents ausmachen konnte, der vor ein paar Jahrhunderten meinen Widerstand
dahinschmelzen hätte lassen. Doch dagegen war ich inzwischen immun.
»Das würde voraussetzen, dass du eines hast, Jerry. Warum nennst du mich Baby?«
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du in einigen Punkten Recht hattest.«
Okay, das war zu viel des Guten. Ich riss das Steuer herum und hielt auf dem Seitenstreifen an. Zum Glück herrschte auf dieser Strecke um drei Uhr morgens so gut wie gar kein Verkehr. Kein Wunder; sie ist nicht gerade für ihre pittoresken Ausblickeberühmt. Felsbrocken, ein paar struppige Büsche, dazwischen Sand, das war’s.
» Ich hatte Recht?«
»Was das Anpassen angeht. Ich hatte ein paar Begegnungen mit Jägern.«
Mir wurde ganz flau. In seiner Sprache hieß das, dass er dem Tod durch den Pfahl nur mit knapper Not entgangen war. Wir alle fürchten Vampirjäger. Das ewige Leben kann zuweilen deprimierend sein, aber ich möchte es auf keinen Fall beenden, indem ich mir einen Pfahl durchs Herz rammenlasse.
»Ach, du liebe Zeit. Was ist passiert? Geht es dir gut?«
»Alles bestens. Ich bin quasi ein neuer Mensch.«
»Das trifft sich gut, der alte Blade hat mich nämlich …« Ich verstummte. Ich brachte es nicht übers Herz, ihn wie üblich zu ärgern. Eine Welt ohne Blade. Ich beschwere mich zwar dauernd über ihn, aber unsere ständig zwischen Hass und Liebe wechselnde Beziehung macht das Leben wenigstens spannend. Lebenswert.
»Der alte Blade hat dich vermisst.«
Okay, das brachte das Fass endgültig zum Überlaufen.
» Vermisst? Mich? Ich bitte dich. Ich weiß aus zuverlässiger
Quelle, dass du voriges Jahr in Vegas warst, und du hast dir nicht einmal meine Show angesehen.«
»Du
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