Echten Maennern gibt man ein Kuesschen - Roman
nichts aufgelöst, doch das Geld lag immer noch auf ihrem Sparkonto.
Wenn Remy ehrlich war, hatte sie sich noch gar nicht richtig bewusst gemacht, wie reich sie war.
Sie hatten sich nicht besonders nahegestanden. Sie und Grandpa Eddie.
Was vor allem an der großen Entfernung lag, denn er hatte die letzten achtzehn Jahre seines Lebens in Amerika gelebt.
Seit seinem Umzug hatte sie ihn etwa fünfmal gesehen.
Zweimal während seiner Heimaturlaube in England, und dreimal hatte sie ihn mit ihrer Familie in Amerika besucht. Ihre Mutter hatte öfter rüberfliegen wollen, doch sie waren zu sehr im Hotel eingespannt gewesen, und dann war vor einigen Jahren auch noch ihr Vater erkrankt. Als er wieder so weit genesen gewesen war, dass sie erneut eine Reise in Erwägung ziehen konnten, hatten sie geplant, Grandpa Eddie zu besuchen, doch ein paar Wochen vor Reiseantritt hatten sie den Anruf erhalten, dass er gestorben sei.
So waren sie, anstatt dem Großvater leibhaftig einen Besuch abzustatten, zu seiner Beerdigung gereist. Doch entgegen ihren Erwartungen war das Begräbnis keineswegs eine traurige und sentimentale Veranstaltung gewesen. Eigentlich war Remys Grandpa ein sturer Einzelgänger gewesen, der normalerweise für sich allein geblieben war, und so waren sie erstaunt gewesen, wie viele Freunde er hatte, und da er in seinem Testament strikt festgelegt hatte: »Kein Trauern und Wehklagen, ich hatte ein langes, erfülltes Leben, deshalb sollt ihr es euch auf meine Rechnung richtig gut gehen lassen«, hatte sich der Leichenschmaus als eine regelrechte Party entpuppt, die eher wie eine Feier des Lebens wirkte als wie eine Trauerveranstaltung angesichts des Verlusts eines Menschen.
Und nun verlieh ihr das Geld - dank Grandpa Eddie - eine Freiheit, von der sie zunächst geglaubt hatte, dass sie sie gar nicht benötigte. Sie hatte immer gearbeitet; es war ein Ethos, den ihre Eltern ihr von klein auf eingeimpft hatten. Jedes Taschengeld hatte sie sich verdienen müssen. Gute Noten in Klassenarbeiten waren stets belohnt worden.
Irgendwie hatte sie sich eher merkwürdig gefühlt, auf einmal so viel Geld zu besitzen, weil jemand anders gestorben war, aber jetzt dankte sie ihren Glückssternen, dass Grandpa Eddie sie in seinem Testament so großzügig bedacht hatte. Wenn sie aus finanziellen Gründen an ihren Job gefesselt gewesen wäre, hätte sie nicht so einfach mir nichts, dir nichts in die Nacht flüchten können, als sie die Wahrheit über Simon erfahren hatte.
Und jetzt saß sie hier im warmen Sand, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und die Zehen vom Wasser umspülen und dachte, wie herrlich es doch war, dass sie so einfach hatte abhauen können.
Wenn sie ihr altes Leben zurückbekommen könnte, mit einem in sie verliebten und mit ihr glücklichen Simon, der nicht darauf aus wäre, ein komplett anderes Leben zu leben - würde sie all das überhaupt zurückhaben wollen?
Sie fragte sich, was er wohl gerade machte. Simon. War er mit dem Mann zusammen, der ihm den Mut gegeben hatte, sich von ihr zu trennen? Mit diesem Jonathan? Wie dieser Jonathan wohl war? Gutaussehend? Witzig? Simon hatte immer auf Menschen mit Humor gestanden. Manchmal, in Augenblicken des Selbstzweifels oder nach einem Streit, hatte Remy sich gefragt, wenn Simon sie je wegen einer anderen Frau verließe, wie diese Frau wohl wäre. Aber in was für einen Mann er sich vergucken würde? Dieser Gedanke war ihr natürlich nie in den Sinn gekommen.
Sie dachte an Aidan, der ihr letzte Nacht verloren vom Priory hinterhergewinkt hatte, als sie abgefahren war.
Ob er sein wahres Ich wohl über Jahre hinweg vor der Welt verborgen gehalten oder schon früh den Mut gefunden hatte, der zu sein, der er wirklich sein wollte? Sie war sich ziemlich sicher, dass Letzteres der Fall war, obwohl er es nie frei heraus gesagt und sie ihn auch nie gefragt hatte. Und mit diesem
Gedanken regte sich ein anderes, neues Gefühl in ihr, eins, das sie im Zusammenhang mit Simon noch nie zuvor gespürt hatte. Mitleid. Aufrichtiges tiefes Mitleid. Armer, armer Simon. Wie furchtbar musste es für ihn gewesen sein. Wie innerlich zerrissen musste er gewesen sein. Und zu dem Selbstmitleid, in dem sie sich erging, weil sie den Mann verloren hatte, für den sie ihn gehalten hatte, gesellte sich das Mitleid mit ihm für all die Zeit, in der er versucht hatte, jemand zu sein, der er in Wahrheit gar nicht war. Zeit, die er nie zurückbekommen würde. Sie hoffte, dass er jetzt
Weitere Kostenlose Bücher