Ed King
in Schneeanzügen, auf der Fähre nach Victoria und vor der Space Needle. Dan rief zwischendurch aus der Klinik zu Hause an und fragte: »Alles in Ordnung mit Simey und Eddie?«, oder: »Was machenmeine beiden Kings?«, und wenn es irgendetwas zu berichten gab, erfuhr er es sogleich von Alice: »Eddie ist heute zum ersten Mal gerannt .« »Simey zahnt mächtig.« »Eddie ist definitiv beidhändig.« »Simey hat heute früh zwei Bananen gegessen.« »Eddie hat bei der Diphtherie-Impfung nicht einen Laut von sich gegeben.«
An den Wochenenden verwöhnte Dan seine Söhne wie im Schlaraffenland: Haferbrei mit braunem Zucker, Toast Melba, Rührei von seinem eigenen Teller, Cracker mit Marmelade, Makkaroni oder Reis und Schokoladenpudding zum Nachtisch. Er liebte es, mit Eddie und Simey auf dem Schoß die Fernsehserie Saturday Night at the Movies zu sehen. Er liebte es, sie durch den Pool zu ziehen und dabei Geräusche wie ein Rennboot zu machen. Er liebte es, ihre stämmigen, gefleckten Oberschenkel zu kitzeln. Dann bemerkte er etwas, das ihn als Arzt beunruhigte: Eddie, so schien es Dan, hatte stark nach innen zeigende Füße, die ihn beim Gehen behinderten und später zu Schäden an Hüfte, Knien und Knöcheln führen konnten, wenn nichts dagegen unternommen wurde.
Alice ging mit Eddie zu einem Orthopäden. Ja, der Junge lief über den großen Onkel, aber das sei normal, beruhigte der Orthopäde sie, bedingt durch die Lage des Fötus in der Gebärmutter, und wachse sich in den meisten Fällen im ersten Jahr des selbständigen Gehens aus. Drei Wochen später allerdings hatte Dan den Eindruck, Eddies Zehen seinen noch stärker einwärts gerichtet. In seinen Augen deutete sein Gang eindeutig auf einen orthopädischen Defekt hin. Also wieder zum Spezialisten, der dieses Mal auf Veranlassung von Dan genau nachmaß und eine extreme Innenstellung feststellte. Röntgenaufnahmen der unteren Körperhälfte zeigten weder eine verdrehte Hüfte noch ein verdrehtes Wadenbein, dafür aber einen ausgeprägten Metatarsus adductus , auch bekannt als Sichelfuß.
Ein Sichelfuß! Für Dan klang das wie eine genetisch bedingte Anomalie, und der Gedanke, dass Eddies leibliche Eltern einen Geburtsfehler wie Metatarsus adductus an ihn weitergegeben hatten, machte ihn wütend auf diese unsichtbaren Menschen, obwohl er wusste, wie ungerechtfertigt es war. Verärgert ließ er Eddie Nachtschienen anpassen, was bedeutete, dass seine Füße während des Schlafs mit einerStange verbunden wurden, die an der Ferse von speziellen Schuhen befestigt war. Eddie schlief so stoisch auf dem Rücken, dass er das Hindernis zuerst gar nicht zu bemerken schien, aber dann scheuerte der Schuh am rechten Knöchel, und weil es in seinem Zimmer so warm war, schwitzte er am Knöchel, und der zarte rosa Fleck entzündete sich. Dan versuchte es mit Gaze, Jod, Baumwollgewebe und einem Antibiotikum, aber es war zu spät, Eddie hatte eine Staphylokokken-Infektion, der Fuß wurde immer dicker, und er musste ins Krankenhaus. Dort legte man eine Eiterdränage, hängte ihn an einen Tropf und behandelte ihn mit warmen Umschlägen, Infusionen, noch stärkeren Antibiotika und einer leichten Dosis Kodein. Nach zweiundzwanzig Tagen durfte Eddie wieder nach Hause, aber sein rechter Fuß sah leicht entstellt aus, und als man es erneut mit einer Nachtschiene probierte, erhielt Eddie Fußplatten anstatt Schuhe.
Ein kleiner Trost war, dass die schnellsten Läufer der Welt wie Eddie Sichelfüße hatten. Wenn die Kings mit anderen jungen Familien zusammen waren und irgendwer einen Kommentar zu Eddies Gang abgab, verwies Dan nur auf Bob Hayes, den Weltrekordhalter und Goldmedaillengewinner über einhundert Meter bei den Olympischen Spielen 1964. Wenn das bei den Leuten keine Wirkung zeigte, schob er das Bild von Jackie Robinson hinterher, wie er beim Baseball aus einem Single ein Double machte. Wenn Alice im Schwimmclub Eddie ins Wasser hielt oder ihm zusah, wie er im Kinderbecken planschte, sagte sie jedem, der danach fragte, es sei Eddies »Achillesferse«. Vor dem Schlafengehen rieb sie seinen Fuß oft mit Baby-Öl ein, und der anhaltend geschwollene Knöchel machte sie traurig.
Tatsächlich aber gab es wenig Grund, traurig zu sein. Sowohl Simey als auch Eddie begannen früh zu lesen, indem sie auf Alice’ Schoß saßen und die Wörter aus einer Kinderfibel laut aufsagten. Beide waren mathematisch begabt, konnten gut puzzeln, gingen sanft mit der Katze um und schlichteten Streit auf
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