Ed King
verkleiden und es gab eine kostümierte Musikdarbietung, und Chanukka wurde so groß gefeiert, dass es mit Weihnachten mithalten konnte. Dan und Alice mochten die Atmosphäre. Sie zahlten, um dabei sein zu dürfen. Keiner von beiden glaubte an den Gott des brennenden Dornbuschs oder an sein modernes, weniger greifbares Pendant, aber beide glaubten, dass es mehr gab zwischen Himmel und Erde, als mit bloßem Auge erkennbar. Der Glaube war allerdings nicht die Hauptsache. Vielmehr ging es darum, dass Eddie und Simey eine Orientierung haben und nicht wie verlorene Schafe durchs Leben irren sollten. Eddie und Simey sollten wissen, wo sie herkamen (selbst wenn Eddies Herkunft im Dunkeln lag). Eddie und Simey sollten kulturelle Wurzeln haben und innerhalb einer Gemeinschaft aufwachsen. Wenn es darauf ankam, wollten die Kings für ihre Kinder eine Gemeinschaft von Juden, aber keine bärtigen Juden, die nur Unsinn redeten, sondern aufgeklärte Juden, die nicht an den Gott der Thora glaubten, ja nicht einmal an die Thora selbst. Die Erde sollte vor 5728 Jahren erschaffen worden sein? Bitte, kein Mensch bei Verstand glaubte solchen Blödsinn. Adam und Eva? Ein Fluch auf den Söhnen von Ham? Lots Frau, zur Salzsäule erstarrt? Verschone uns. Alte Stammesmythen. Zum Glück konnte Rabbi Weisfeld unverständliches Thora-Gebrabbel in alltägliche Wahrheiten verwandeln, und zwar so, dass sogar Kinder es verstehen konnten, inklusive einer Lehre fürs Leben, liberalem Geist und einem Hauch von ewigem Mysterium. Die Dinge in Beth David waren genau auf dem richtigen Niveau, nicht zu irrational, lachhaft oder zu langweilig und ebenfalls nicht zu peinlich, altertümlich oder an den Haaren herbeigezogen. So weltlich und verwässert Beth David auch war, das Motiv des auserwählten Volkes spielte eine bedeutende Rolle. Gott liebte die Juden ein bisschen mehr als alle anderen. Gott hatte einen besonderen Pakt mit den Juden geschlossen, was ihre Klugheit, Israel und Pastrami erklärte. In Beth David lernten die King-Söhne, dass Juden etwas Besonderes waren – die klügsten, feinfühligsten und moralischsten Menschen, die größten Künstler und Schriftsteller, die bedeutendsten Wissenschaftler und Gelehrten, die besten Geschäftemacher und die freigebigsten Spender. Einstein, Marx und Freud waren Juden und viele von denen, die die Bombe entwickelt hatten, sowie beinahe jeder im Showbusiness. Ja, es hatte in jüngerer Zeit einen Holocaust gegeben, bei dem Juden in Gaskammern getrieben worden waren, aber seither waren sie wie Phönix aus der Asche erstanden, hatten den Sechs-Tage-Krieg gewonnen, jede Menge Nobelpreise eingeheimst und die Kinderlähmung besiegt. Immer noch an der Spitze!
Alice und Dan gefiel der Gedanke des auserwählten Volkes so gut, dass sie Eddie im Halbtagskindergarten von Beth David anmeldeten. An seinem ersten Nachmittag wollte er nicht hingehen und hielt sich schreiend an der Wagentür fest. Erst als Alice ihn bestach und versprach, nachher bekäme er ein Spielzeug und ein Eis, beruhigte er sich und ging hin.
Wie sich herausstellte, war der Kindergarten gar nicht schlecht. Fingerfarben, Bauklötze, Geschichtenerzählen und Fußball waren gut, Vater–Mutter–Kind, Nachmittagsschlaf und Singen waren es nicht. Tonarbeiten waren so lala, Memory war gut, weil es ihm leichtfiel, und Informationen darüber, was in einem Kibbuz passierte, waren okay, weil sie einen Film darüber sahen. Eddie sprach ungeduldig seine Bracha , bevor er endlich seinen Traubensaft trinken und seine Challah hinunterschlingen konnte, aber er liebte es, Tzedakah zu geben, weil er den Klang der Münze in der Sammelbüchse mochte. Mit dem Geld sollten Bäume im Gelobten Land gepflanzt werden, wie auf einem Poster mit der Aufschrift »Wunder in der Wüste« zu sehen war, das an der Klassentür hing. Eddie gefiel das Baumprojekt, aber er mochte es nicht, wenn Miss Cohen ihre Gitarre herausholte und alle im Kreis auf dem Boden sitzen und auf Hebräisch die Hatikvah singen mussten, die Nationalhymne Israels. Noch schlimmer war es, wenn sie aus Bastelpapier Hüte machen und sich aufsetzen mussten und dann, in Laken gehüllt, kurze Szenen aus dem Leben von Abraham und Moses spielten. Am schlimmsten allerdings war israelischer Volkstanz mit Rabbi Weisfeld, der schon krebsrot anlief, wenn er bloß die Hora tanzte.
»Sie lernen zu wenig«, sagte Dan nach einem offenen Nachmittag in Miss Cohens Gruppe. »Wo ist das Abc geblieben? Wozu braucht Ed Joan Baez
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