Ed King
vorsichtig mit den Nadeln zu sein, mit der Nasenspitze über seinen Bauch zu fahren und ihn zu beschnuppern – das alles war aufregend und machte geradezu süchtig. Beim kleinsten Zeichen von wunder Haut war Alice mit Salbe zur Stelle, beim ersten Husten oder Schreien in der Nacht schreckte sie im Bett hoch. Wie rasch änderte sich der Inhalt ihres Alltags von der Arbeit bei der Stadtverwaltung zur stetigen Wachsamkeit für jede kleinste Falte und jeden Laut, mit dem Eddie ein Bedürfnis ausdrückte. Und was für eine Offenbarung war es, zu erkennen, dass sie dies mehr genoss als alles andere, das unechte Stillen, das Saubermachen, das Wiegen und Im-Arm-Halten, seinen Geruch, das Wunder Eddie, ganz besonders, wenn er ihr in die Augen schaute, neugierig zuerst, als versuchte er ihre geheimnisvolle Gegenwart zu ergründen, aber schon bald mit einem tiefen, vielleicht sogar spirituellen Gespür dafür, wer sie war, auf einer so tiefen Ebene, dass es sich nicht mit Worten beschreiben ließ. Es hatte keinen Sinn, zu versuchen, es sich zu erklären, sie konnte nur sagen, wie sehr sie ihren Adoptivsohn liebte, was für ein Wunder er war, über das sie nur staunen konnte, und wie unerwartet ihre eigene Verwandlung von einer Person in eine andere, von einer Frau in eine andere für sie war; und doch drangen alle diese Eingeständnisse nicht zum eigentlichen Kern der Sache vor, dem Gefühl, das sie überkam, wenn Eddie ihr in die Augen sah, wie um eine unüberwindbare Kluft zu schließen.
Ihre Tage reihten sich in einer unablässigen Folge von Fortschritten aneinander, nicht ihre eigenen, sondern Eddies. Eddie entdeckte seine Daumen, was ein kleines Wunder war. Dann lernte er Alice’ Finger zu drücken, zu lächeln, zumindest sah es so aus, den Kopf zu heben, und er fand heraus, wozu ein Schnuller gut ist. Als Nächstes folgten seine Augen den kleinen Affen, Elefanten, Giraffen und Zebras an seinem Mobile, wenn sie es in Bewegung setzte. Er lernte eine Rassel zu halten und durch die Gegend zu werfen. Er lernte sich zu drehen und zu winden, und bei der Vorsorgeuntersuchung stellte sich heraus, dass er für sein Alter ungewöhnlich groß war. Was auch immer passierte, Alice schwelgte in ihrem Glück. Er hatte die gleichen honigblonden Haarewie sie, was nur heißen konnte, dass sie füreinander geschaffen waren. Wenn sie seinen Nabel mit einem Wattestäbchen reinigte, quiekte Eddie vor Vergnügen. Ihn mit einem Schwamm auf ihrem Schoß zu waschen machte ebenso viel Spaß, wie ihm im Schlaf die Nägel zu schneiden. Er sah entzückend aus in seinem kleinen Schlafanzug, und die weiche Stelle auf seinem Kopf, die Fontanelle, pulsierte mit jedem Schlag seines Herzens.
Um neun Uhr früh badete sie Eddie. Um zehn Uhr reinigte sie mit einem Zahnstocher den Gumminoppen seines Fläschchens, während auf der Herdplatte keimfrei gemachte Babynahrung abkühlte. Um elf Uhr schaute sie bei Dr. Spock nach, welche Bedeutung, wenn überhaupt, Eddies Erektionen hatten. Zur Mittagszeit schabte sie Eddies Ausscheidungen von der Windel in die Toilette. Um halb eins faltete sie Eddies Windeln, die frisch aus dem Trockner kamen. Um halb zwei war es Zeit, mit Eddie in seinem Kinderwagen mit Ziehharmonikadach an die frische Luft zu gehen. Um halb drei ging sie mit Eddie zum A & P. Um halb vier las sie in Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch , während Eddie sein Mittagsschläfchen hielt. Um halb sechs stand sie mit Eddie im Arm am Herd und kochte Leber mit Zwiebeln und Erbsen mit Reis. Um sechs Uhr schnippelte sie Salat. Um acht Uhr saß sie neben Dan vor dem Fernseher, Eddie auf dem Arm. Um neun Uhr stand sie unter der Dusche, wusch sich aber nicht die Haare, weil Dan es mochte, wenn sie frisch geduscht zu ihm ins Bett kam, allerdings nicht mit nassen Haaren. Das war ihr Tag, und was ihre Nächte anging, so war der Doktor plötzlich wieder zurück auf der Bühne und eröffnete ihr, der Geruch von Babynahrung auf ihren Brüsten mache ihn unheimlich an. Tatsächlich war er ganz versessen darauf zuzusehen, wenn sie Eddie mitten in der Nacht in ihr Bett holte und Babynahrung auf ihre Brüste tropfen ließ.
Es zeigte sich, dass Dan ein ausgezeichneter Vater war. Wenn er von seiner gutgehenden Praxis nach Hause kam, ging er sofort zu Eddie. Er setzte Eddie auf seinen Schoß, redete mit Eddie und gab Eddie die Flasche. An Wochenenden machte er mit Eddie Mittagsschlaf. Alice und Dan hatten ihr Glück gefunden, selbst wenn es nicht ihr eigenes Kind
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