Edelherb: Roman (German Edition)
Sie auf jeden Fall gerne nehmen.«
»Oh, das ist ja wunderbar«, sagte Mr. Kipling.
»Ich habe diesen Vorschlag also dem Aufsichtsrat unterbreitet«, fuhr Rektor Syl fort. »Die Sache mit der Schokoladendynastie war kein Problem. Unsere Schüler kommen aus allen erdenklichen Familien. Aber leider … nun ja, wissen Sie, bei uns geht’s in erster Linie um Frieden. Die Sache mit dem Waffenbesitz passt da nicht rein. Also, das ist ein Ausschlusskriterium. Der Aufsichtsrat will so was nicht in Leary.«
»Und um uns das zu sagen, haben Sie uns herbestellt?«, fuhr Mr. Kipling auf.
»Ich wollte Anya persönlich kennenlernen. Und es gibt noch Hoffnung, Stu. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben erklärt, dass sie den Aufnahmeantrag von Anya nächstes Jahr, wenn etwas Zeit ins Land gegangen ist, gerne noch mal prüfen werden.« Syl lächelte uns an. »Nehmen Sie sich ein Jahr frei, Anya. Machen Sie irgendwo ein Praktikum. Vielleicht belegen Sie an der Uni als Gasthörer ein paar Kurse in Rechtsmedizin. Danach kommen Sie wieder zu uns.«
Ein Jahr war eine Ewigkeit. Bis dahin hätten alle meine Freunde einen Abschluss, selbst Gable Arsley. Ich stand auf und bedankte mich bei Rektor Syl, weil er sich die Zeit genommen hatte. Mr. Kipling hatte Schwierigkeiten, sich vom Boden zu erheben, ich streckte ihm meine Hand hin.
Auf dem Weg nach draußen hielt mich Rektor Syl am Arm fest. Er senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ich engagiere mich in der Pro-Kakao-Bewegung. Vielleicht hätten Sie mal Lust, auf einem unserer Treffen zu sprechen? Sie haben doch mit Sicherheit total tiefe Einblicke in das Thema.«
Daher also wehte der Wind! Das war der wahre Grund, warum Mr. Kipling und ich gezwungen worden waren, bis ins Zentrum zu kommen, nur damit ich offiziell abgelehnt wurde. Dieser Mann war nicht besser als mein alter Geschichtslehrer Mr. Beery.
»Ich versuche momentan zu vermeiden, mich öffentlich zur Schau zu stellen, Mister … ähm, Syl«, sagte ich.
»Verstehe«, erwiderte er. »Obwohl ich mich frage …« Er runzelte die Stirn. »Sie sind bekannt, wohl oder übel, und damit haben Sie Macht, mein Mädchen. Wenn man ein Schachspiel hat, warum dann Halma spielen?« Er hielt mir seine Hand hin, und ich ergriff sie. »Vielleicht sehe ich Sie irgendwann wieder, Anya Balanchine.«
Das bezweifelte ich doch sehr.
»Ich fand sowieso, dass diese Schule nichts für dich ist«, sagte Mr. Kipling, als wir zurück zu seinem Büro gingen. Es nieselte, und auf seinem kahlen Kopf funkelten kleine Tröpfchen. »Keine Zensuren. Und dieser komische Geruch. Und was ist das für ein Rektor, der keine Möbel in seinem Zimmer hat?« Wir blieben an einer Ampel stehen. »Keine Sorge, Anya. Wir finden schon eine Schule für dich. Eine viel bessere.«
»Mal ehrlich, Mr. Kipling, wenn Leary als alternative Schule mich nicht haben will, welche soll mich dann noch wollen? Es gibt keine Schule in der Stadt, die den Ruf hat, liberaler als Leary zu sein, und selbst dort hält man mich für zu stark belastet. Und wahrscheinlich haben sie damit auch recht.« An einem Montagmittag um halb zwei stand ich an einer Straßenecke und wollte nicht dort sein. Ich wollte auf Trinity sein. Ich wollte vorgeben zu fechten, wollte mich über die Tofu-Lasagne beschweren. Mir war nicht klar gewesen, welch großen Teil meiner Identität diese Uniform und diese Schule ausmachten. Ich hatte das Gefühl, nirgends dazuzugehören. Trotz meines Entschlusses, mich in Dankbarkeit zu üben, tat ich mir langsam ganz schön leid.
»Ach, Annie. Ich würde dir das so gerne leichter machen.« Mr. Kipling nahm meine Hände in seine. Der Regen war stärker geworden, die Ampel umgesprungen, doch setzte sich keiner von uns in Bewegung. »Ich kann nur sagen, dass auch das vorübergehen wird.«
Ich sah meinen langjährigen Ratgeber an. Wenn er eine Schwäche hatte, dann vielleicht die, dass er mich zu sehr liebte und vom Rest der Welt erwartete, seine Meinung zu teilen. Ich gab ihm einen Kuss auf den kahlen Schädel. »Danke, Mr. Kipling.«
Er lief tiefrot an. »Wofür, Annie?«
»Sie haben immer an mich geglaubt. Ich bin jetzt alt genug, um das wertschätzen zu können.«
In Mr. Kiplings Büro gesellte sich Simon Green zu uns, und zu dritt berieten wir meine Möglichkeiten. »Meiner Meinung nach gibt es immer noch eine Handvoll Schulen in Manhattan, bei denen wir es versuchen könnten …«
Ich unterbrach Simon. »Aber meinst du nicht,
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