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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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meine Hand los. Als er sich zum Gehen wandte, stolperte er leicht über seinen Stock. »Eigentlich wollte ich einen eleganteren Abgang hinlegen«, sagte er.
    Ich lächelte und rief mir in Erinnerung, dass ich ihn kein bisschen liebte, dann kehrte ich zurück in Simon Greens Zimmer.
     
    Es war fast neun Uhr, als Mr. Kipling und ich endlich im Fahrstuhl standen und das Krankenhaus verließen. »Ich habe uns einen Wagen bestellt. Wenn da draußen noch Reporter sind, überlass das Reden bitte mir«, sagte Mr. Kipling.
    »Da ist sie!«
    Es waren nur noch eine Handvoll Kameras, aber die Blitzlichter blendeten dennoch im Dunkeln.
    »Anya, bist du froh, das Krankenhaus verlassen zu können?«, rief einer der Journalisten.
    Mr. Kipling trat vor mich. »Anya ist froh, nicht schwer verletzt worden zu sein«, sagte er. »Sie hat einen sehr langen Tag hinter sich, und sie will einfach nur nach Hause.« Er führte mich am Ellenbogen zum Bordstein, wo der Wagen auf uns wartete.
    »Anya, Anya, wie war es in Liberty?«, rief ein anderer Reporter.
    »Sagen Sie doch was zu Charles Delacroix! Halten Sie ihn verantwortlich für den Busunfall? Glauben Sie, dass er die Wahl gewinnt?«
    Mr. Kipling war bereits in den Wagen gestiegen, ich wollte es ihm nachtun, hielt jedoch noch einmal inne. »Moment«, sagte ich. »Ich möchte noch etwas sagen.«
    »Anya«, flüsterte Mr. Kipling, »was machst du da, um alles in der Welt?«
    »Das Mädchen, das heute gestorben ist, war in meinem Alter«, sagte ich. »Sie überquerte die Straße, und im nächsten Moment war sie nicht mehr. Ich trauere mit ihren Freunden, ihren Verwandten, besonders mit ihren Eltern. Es ist eine Tragödie. Es wäre schön, wenn das nicht in den Hintergrund geraten würde, nur weil im Bus auch eine bekanntere Person saß.«
    Ich stieg ins Auto und zog die Tür zu.
    Mr. Kipling klopfte mir auf die Schulter. »Gut gemacht, Annie. Dein Vater wäre stolz auf dich.«
    Als ich nach Hause kam, warteten Imogen und Natty auf mich und vergossen nicht wenig Tränen über meine sichere Heimkehr. Ich sagte ihnen, sie würden übertreiben, dennoch war es schön zu wissen, dass mein Fehlen nicht unbemerkt geblieben war. Es war nicht zu leugnen, dass man sich um mich gesorgt hatte. Ich wurde vermisst. Ich wurde geliebt. Ja, ich wurde geliebt. Und zumindest dafür war ich dankbar.



III. Ich nehme meine Ausbildung wieder auf, meine Gebete werden erhört, und Geld regiert die Welt
    Am nächsten Montag hatte Charles Delacroix bei den jüngsten Meinungsumfragen zwei Prozentpunkte verloren, so dass er nun offiziell mit Bertha Sinclair gleichauf lag, und ich war meinem Ziel, eine Schule zu finden, noch keinen Schritt näher gekommen. Mr. Kipling und ich besprachen beide Themen in unserem täglichen Telefonat. Wir fassten uns in den Gesprächen möglichst kurz, um die Kosten niedrig zu halten, aber die verschwenderische Regelmäßigkeit war ein Zeichen dafür, wie sehr sich Mr. Kipling um mich sorgte.
    »Meinen Sie, es lag an der Sache mit dem Bus?«, fragte ich ihn.
    »Zum einen schon, und auch wenn du das nicht gerne hörst, Anya, aber die Tatsache, dass du mit im Bus warst, hat den Leuten von Sinclair Gelegenheit gegeben, noch einmal die alte Geschichte von dir, Charles Delacroix und seinem Sohn aufzuwärmen. Es gibt Menschen, die der Ansicht sind, dass deine Strafe in Liberty nicht lang genug war, sondern dass du begünstigt wurdest, und der Wahlkampf von Sinclair schlägt genau in diese Kerbe.«
    »Nicht lang genug? Diese Menschen sind wohl noch nie in Liberty gewesen«, witzelte ich.
    »Schon wahr.«
    »Wissen Sie, dass Simon ihn mag? Charles Delacroix, meine ich?«
    Mr. Kipling lachte. »Ja, ich glaube, mein junger Kollege hat da eine kleine Schwäche. Und zwar seit er letztes Jahr im September mit dem Staatsanwalt gesprochen hat, um deine Entlassung aus Liberty vorzubereiten.
    Anya, das empfindest du jetzt hoffentlich nicht als Einmischung in deine Privatangelegenheiten, aber ich möchte dir noch eine Frage stellen.« Mr. Kipling holte Luft. »Warum war Win im Krankenhaus?«
    Ich erwiderte, ich wisse es nicht.
    »Wenn du noch mit ihm zusammen bist, sollte ich als dein Anwalt darüber Bescheid wissen.«
    »Mr. Kipling«, sagte ich, »Win hat eine neue Freundin, und ich glaube, dass er unter der tragischerweise irrigen Annahme steht, wir sollten dennoch Freunde bleiben.« Ich erzählte von Alison Wheeler, von der neu entflammten Liebe zwischen den beiden, als sie zusammen im

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