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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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den Lebenslauf des Führers auswendig lernen. Und danach mussten wir jeden Morgen strammstehen und »Heil Hitler!« brüllen.
    Zuerst haben wir das nicht so ernst genommen, fanden’s eher komisch, aber da waren wir bei Kriechbaum an der falschen Adresse. Eines Mittags hat er uns nach der letzten Stunde antreten lassen, und jeder musste den Gruß vorführen. Nur wer’s ordentlich gemacht hat, durfte gehen. Alle anderen mussten’s noch mal machen. Tom und ich haben zehn Versuche oder so gebraucht, bis wir endlich raus durften. Aber zwei andere Jungs aus unserer Straße, denen ihre Eltern den Hitlergruß verboten hatten, sind stur geblieben. Kriechbaum konnte machen, was er wollte, sie sind einfach dagestanden und haben die Klappe gehalten.
    Wahrscheinlich hätten wir drüber gelacht, wenn das Ganze nicht so üble Folgen gehabt hätte. Von da an hat Kriechbaum nämlich mindestens einmal in der Woche »die aus der Klarastraße«, also auch Tom und mich, nach vorn geholt und uns vor
der ganzen Klasse verprügelt. Ob’s dafür ’n Anlass gegeben hat oder nicht, ist ihm egal gewesen. Er hat’s einfach getan. Wir konnten die Uhr danach stellen.
    Nicht, dass es neu für uns gewesen wär, verprügelt zu werden. Das haben unsere Väter auch gemacht. Aber die hatten wenigstens ’n Grund – oder bemühten sich, einen zu haben. Kriechbaum hat’s nur getan, weil wir aus den dummen Arbeiterfamilien in der Klarastraße kamen, die nicht mal den Hitlergruß kennen. Das ist alles. Wir haben ihn gehasst. Und am Ende haben wir die ganze Schule nicht mehr leiden können.
    Aber jetzt sind wir den Kerl los. Ist ein gutes Gefühl. Kein Kriechbaum mehr! Kein Morken mehr! Kein ewiges Durchprügeln, kein dummes Exerzieren. Manchmal gibt’s Tage, da fühlt man sich frei und leicht. Heute ist so einer.

1. Mai 1941
    Tag der Arbeit! Ist ja wohl ’n schlechter Witz! Seit drei Wochen lauf ich mir die Hacken ab von einer Fabrik zur nächsten und finde nichts. Muss nämlich dringend Geld ranschaffen. Seit mein Vater gefallen und Horst auf dieser Schule in Bayern ist, herrscht Ebbe in der Kasse. Wir haben überall Schulden, können kaum noch die Miete bezahlen. Bei Tom und seiner Mutter sieht’s genauso aus. Deshalb versuchen wir verzweifelt, irgendwo unterzukommen.
    Das Problem ist nur: Keiner will uns. Alle anderen aus unserer Klasse haben längst ihre Lehrstelle gefunden. Das heißt – alle, die in der HJ sind. Ist schon auffällig. Egal, wo wir hinkommen, können wir gleich wieder gehen. Die reden nicht mal mit uns. Als ob wir die Seuche hätten oder so. Langsam wird uns die Sache klar: Das ist es also, was sie mit dem »Ärger« gemeint haben.
    Meine Mutter ist sauer. An den letzten Tagen hat sie die Fabriken,
die mich nicht wollten, noch mal abgeklappert. Hat gesagt, ihr Mann ist schon im Dienst fürs Vaterland gestorben, und jetzt dürfen sie ihrem Sohn nicht auch noch Steine in den Weg legen. Dass sie das nicht hinnimmt und wir verdammt noch mal ’ne anständige Behandlung verdient haben. Ist ganz schön mutig von ihr. Aber Erfolg hat’s keinen gehabt.
    Deswegen sind wir allmählich ziemlich fertig. Was, wenn es so weitergeht? Wenn ich wirklich nichts finde? Was wird dann aus uns?

9. Mai 1941
    Auf einmal ist es ganz schnell gegangen mit der Lehrstelle. Ausgerechnet bei Ostermann & Flüs. Wo mein Vater auch war, damals, vor dem Krieg. Schiffspropeller stellen sie her. »Die größten Schiffspropeller der Welt«, wie mein Vater immer gesagt hat. Sie sind hier in Ehrenfeld am Grünerweg, nicht weit von unserer Wohnung.
    Ein paar alte Kollegen von meinem Vater müssen ein gutes Wort für mich eingelegt haben. Jedenfalls durfte ich heute Morgen zum Personalleiter kommen, um meinen Vertrag zu unterschreiben. Ich hatte gute Laune, weil’s endlich so weit war. Aber als ich zu ihm rein bin, hat sich das schnell wieder gelegt. Er hat mich angesehen, dass mir ganz anders wurde, und ich hab gleich gemerkt, bei dem muss ich vorsichtig sein.
    Erst hat er mich einfach vor seinem Schreibtisch stehen lassen. Hat so getan, als wär ich nicht da, und die ganze Zeit in seinen Papieren gekritzelt. Aber dann, nach zehn Minuten oder so, hat er sich zurückgelehnt und mich von oben bis unten gemustert.
    »Weißt du, warum wir dich nehmen, Gerlach?«
    »Nein. Eigentlich nicht.«
    »Dachte ich mir, dass deine Intelligenz dafür nicht ausreicht. Also, ich sag’s dir: Wir nehmen dich, weil dein Vater hier gearbeitet hat. Und zwar gut und zuverlässig.

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