Eden
das nach der Schule in ein Zuhause kam, wo nur ein Elternteil oder überhaupt niemand es erwartete, sei es, weil die Eltern ausgegangen waren oder weil sie zwei oder drei Jobs am Tag nachgingen, da das Geld vorne und hinten nicht reichte. Oder in ein Zuhause, in dem Bildung nichts galt, wo das Gefühl von Ungerechtigkeit in Hass auf das ›System‹ umgeschlagen war.
Auf dem Heimweg dachte Harris an seine Eltern zurück. Sein Bruder und er hatten als Kinder nie an der Straßenecke herumhängen dürfen. So wie seine Eltern darüber redeten, war die Ecke eine Art mythische Vorhölle, wo Drogen kursierten und das Verbrechen hauste. Tatsächlich war es nichts weiter als ein Haufen unbeaufsichtigter Kids mit viel zu viel Freizeit, und eine Menge von ihnen handelten sich dadurch ziemlichen Ärger ein.
Harris’ Vater war mit ihm und seinem Bruder runter zum Park gegangen und hatte mit ihnen Ball gespielt, um sie zu beschäftigen.
Sobald er ein funktionierendes Telefon fand, musste er James anrufen.
Auf den Straßen war erstaunlich wenig Verkehr, und Harris kam schnell voran. Er fuhr den ganzen Weg etwa zehn Stundenkilometer zu schnell und bemühte sich, nicht über Geschehnisse in Panik zu geraten, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Auf der ganzen Strecke sah er keinen einzigen Streifenwagen.
Er parkte das Coupé in der Einfahrt und ging ins Haus. Daffy begrüßte ihn an der Haustür und leckte seine Hand.
»Braves Mädchen, braves Mädchen.« Harris tätschelte dem Hund den Kopf, und Daffy folgte ihm durchs Erdgeschoss zur Verandatür. Er öffnete die Glastür, um sie in den Garten zu lassen.
Während der Hund sich auf dem Gras erleichterte, versuchte er anzurufen. Er hörte nicht einmal einen Wählton.
»Verdammt«, zischte er. Ruhig. Ruhig bleiben. Wenn er jetzt die Nerven verlor, half das niemandem. Seine Frau hatte es nicht nur dank ihrem guten Aussehen zur Partnerschaft in einer angesehenen New Yorker Anwaltsfirma gebracht. Raquel war klug, gewitzt, sehr viel konservativer und manchmal auch erheblich vielseitiger als er. Er konnte sich darauf verlassen, dass Raquel sich in Sicherheit gebracht hatte.
Trotzdem machte er sich Sorgen um sie. Raquel war auch sehr hilfsbereit, und er konnte sich durchaus vorstellen, wie sie unterwegs anhielt, um einem Verletzten zu helfen, und dabei selbst in Gefahr geriet …
Schluss! Harris zwang sich, nicht daran zu denken. Entweder Raquel war irgendwo in Sicherheit und machte sich wahrscheinlich ebenso große Sorgen um ihn, wie er sich um sie sorgte, oder sie war bereits auf dem Heimweg. Oder … Jedenfalls konnte er so oder so nichts tun.
Daffy kratzte an der Tür. Er zuckte zusammen.
»Komm rein, mein Mädchen.« Harris ging mit dem großen hellen Collie in die Küche. Er hockte sich hin und tätschelte dem Hund Hals und Rücken. »Da muss jemand mal gebürstet werden.« Daffy leckte seine Hand.
Er schaltete den Computer ein und rief die E-Mails ab. Er hatte drei Konten. Eines für die Arbeit, ein Privatkonto und ein altes Hotmail-Konto, das er schon seit ewigen Zeiten besaß. Er überprüfte alle drei. Nichts außer Größer-härter-länger- und Stopp-den-Haarverlust- Spam. Kein Wort von Raquel. Um etwas zu tun, klickte er eine E-Mail an, die sie ihm vor einer Woche geschrieben hatte, und antwortete darauf. So konnte er sie wissen lassen, dass er zu Hause war und auf eine Nachricht wartete. Einfach nur, ob es ihr gut ging und ob sie auf dem Heinweg zu ihm und Daffy war.
Er wollte wieder in den Wagen steigen und in die Innenstadt fahren. Aber er beschloss, eine Weile zu warten. Wenn Raquel jetzt heimkam, während er fort war, und dann hier festsaß und sich Sorgen um ihn machte?
Er ließ den Computer eingeschaltet.
Harris machte sich die Reste von Schweinebraten und Kartoffelbrei vom Vortag warm und setzte sich vor den Fernseher. Daffy saß ergeben vor ihm und beobachtete den Teller.
Mehrere lokale Fernsehsender waren ausgefallen. Einer zeigte alte Battlestar-Galactica -Folgen. Die Kabelnachrichten kamen live, und offenbar war inzwischen nicht nur Manhattan betroffen. CNN berichtete aus Russland, wo Panzer über den Roten Platz rollten und Gewehrfeuer die Stimme des Korrespondenten untermalte.
Harris starrte ungläubig auf die FOX-Bilder einer Reihe Soldaten in Südafrika, die auf eine sich die Straße herabwälzende Lawine von Menschen feuerte, als der Sender live zu einer Pressekonferenz des Vizepräsidenten umschaltete.
Der Teller auf Harris’ Schoß war
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