Eden Inc.
Blickfeld.
Sie war wie Alabaster, so bleich, dass Lash rings um ihren Hals, über ihren Brüsten und auf ihren Armen ein unglaubliches Gewimmel verkümmerter Adern sah. Man hatte ihr die Bluse und den Büstenhalter vom Leib geschnitten und ihren Oberkörper gewaschen, aber sie trug noch einen Rock; dort endete das Weiß. Der Stoff hatte sich mit Blut voll gesaugt. Zwei weit aufgedrehte intravenöse Injektionen steckten in ihrer Ellbogenbeuge: Einer gab Plasma ab, der andere eine Salzlösung. Unterhalb hatte man Aderpressen an ihren Unterarmen befestigt. Die Ärzte waren damit beschäftigt, ihre kaputten Venen zu nähen.
»Gefäßkrampf«, sagte die Schwester, deren Hand auf der Stirn der Patientin lag. Karen Wilners Augen blieben geschlossen; sie reagierte nicht auf den Druck, den die Hand der Schwester ausübte.
Lash ging näher heran und hockte sich neben das reglose Gesicht.
»Mrs. Wilner«, sagte er leise. »Warum haben Sie das getan?«
»Was machen Sie denn da?«, fragte die Schwester. »Wer ist der Typ?«
Das Blöken des EKG hatte sich zu einem trägen, unregelmäßigen Rhythmus verlangsamt. »Bradykardie!«, rief jemand.
»Der Druck ist runter auf 45 zu 20.«
Lash ging näher heran. »Karen«, flüsterte er, nun noch drängender. »Ich muss den Grund erfahren. Bitte.«
»Geh da weg, Christopher«, sagte Dr. Chen warnend von der anderen Bettseite her.
Die Augen der Frau gingen flatternd auf, schlossen sich, öffneten sich erneut. Sie waren trocken und noch blasser als ihre Haut.
»Karen«, wiederholte Lash und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich an wie Marmor.
»Es soll aufhören«, sagte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen.
»Was soll aufhören?«, fragte Lash.
»Das Geräusch«, erwiderte die Frau fast unhörbar. »Das Geräusch in meinem Kopf.«
Sie schloss erneut die Augen. Ihr Kopf fiel zur Seite.
»Sie stirbt!«, schrie eine Schwester.
»Was für ein Geräusch?« Lash beugte sich weiter zu der Frau hinunter. »Karen, was für ein Geräusch ?«
Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Sie zog ihn nach hinten. »Weg von dem Bett, Mister«, sagte ein Pfleger. Seine Augen funkelten schwarz über dem weißen Mundschutz.
Lash wich zwischen die Apparate zurück. Das EKG stieß nun einen hohen, fortwährenden Akkord aus. Die Schwester mit dem Defibrillator-Wägelchen näherte sich.
»Stärke?«, fragte Dr. Chen, als er die Griffe packte.
»Hundert Joule.«
»Zurück!«, rief Chen.
Lash sah, wie Karen Wilners Leib sich versteifte, als der Strom sie durchfuhr. Die Tropfinfusionsschläuche an den Injektionen schwangen heftig hin und her.
»Noch mal!«, rief Chen und hob die Griffe hoch. Er schaute Lash einen Moment lang in die Augen. Doch so kurz sein Blick auch war, er sagte alles.
Mit einem letzten forschenden Blick auf Karen Wilner drehte Lash sich um und verließ den Behandlungsraum.
10
Als Edwin Mauchly Lash diesmal ins Vorstandszimmer der Eden Incorporated bat, war der Tisch besetzt. Lash erkannte einige Gesichter: Harold Perrin, der Ex-Vorsitzende des Federal Reserve Board, Caroline Long von der Long Foundation.
Die anderen waren ihm nicht vertraut. Doch es war klar, dass der gesamte Unternehmensvorstand sich seinetwegen hier versammelt hatte. Der Einzige, der fehlte, war Richard Silver, der zurückgezogen lebende Firmengründer. Zwar war er in den letzten Jahren nur selten fotografiert worden, doch Lash sah, dass keines der hier versammelten Gesichter das seine war. Einige der Anwesenden musterten Lash voller Neugier, andere mit ernster Besorgnis. Wieder andere begutachteten ihn mit einem Ausdruck, der möglicherweise Hoffnung ausdrückte.
John Lelyveld saß im gleichen Sessel wie beim ersten Treffen. »Dr. Lash.« Er deutete auf den einzigen freien Platz.
Mauchly schloss leise die Tür des Vorstandszimmers und blieb, die Hände auf dem Rücken, vor dem Ausgang stehen.
Der Vorsitzende wandte sich an die rechts von ihm sitzende Frau. »Unterbrechen Sie bitte das Protokoll, Ms. French.«
Dann schaute er Lash wieder an. »Darf ich Ihnen vielleicht etwas anbieten? Kaffee? Tee?«
»Kaffee, danke.« Während Lelyveld ihn rasch vorstellte, musterte Lash sein Gesicht. Von der wohlwollenden, fast schon großväterlichen Art ihrer früheren Begegnung war nichts mehr zu spüren. Der Vorsitzende des Eden-Vorstands wirkte nun amtlich, besorgt und irgendwie distanziert. Das ist kein Zufall mehr, dachte Lash, und das weiß er auch. Eden hatte direkt
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