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Eden

Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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war die gesamte elektrische Installation demoliert. Sie mussten also die eiserne Sauerstoffreserve antasten. Aber das unschätzbare Gas würde nur scheinbar vergeudet werden.
    Sie rechneten nämlich damit, die leeren Flaschen wieder mit atmosphärischem Sauerstoff füllen zu können, sobald der ganze Maschinenraum erst in Betrieb war. Sie hatten einfach keine andere Wahl. Die Atomsäule ohne Strom anzulassen wäre Wahnsinn gewesen. Der Ingenieur war allerdings, ohne jemandem etwas davon zu sagen, auch dazu bereit, falls der Plan mit dem Sauerstoff schiefginge; denn ob der flüssige Sauerstoff ausreichen würde, bis die Säule angelassen war, war nicht vorauszusehen. Der Doktor stand in einem kleinen Stollen unter dem oberen Maschinenraum und las laut den fallenden Druck auf den Sauerstoffmanometern ab. Die anderen fünf arbeiteten oben emsig. Der Physiker hatte sich vor dem provisorischen Schaltbrett der Säule postiert, das so meisterhaft montiert war, dass jedem Spezialisten auf der Erde die Haare zu Berge gestanden hätten. Der Ingenieur hing mit dem Kopf unter dem schweren Gehäuse des Generators und befestigte die Bürstenringe. Er war von der Schmiere schwarz wie ein Neger. Der Koordinator und der Kybernetiker starrten auf die zunächst noch blinde Scheibe des Neutronenzählers, und der Chemiker rannte wie ein Laufbursche zwischen ihnen hin und her.
    Der Sauerstoff zischte, der Kompressor in seiner Rolle als Gasturbine rauschte ärgerlich, klirrte leise und bebte, denn der vom Ingenieur so barbarisch behandelte Rotor war nicht genau ausgewuchtet. Die Umdrehungen des Generators nahmen zu, sein Summen ging in ein immer höheres Singen über. Die Lampen, die an den behelfsmäßig unter der Decke gespannten Kabeln baumelten, strahlten bereits einen starken weißen Schein aus. »Zweihundertachtzehn - zweihundertzwei - hundertfünfund-neunzig …«, ertönte die monotone, vom blechernen Echo entstellte Stimme des unsichtbaren Doktors.
    Der Ingenieur kroch unter dem Generator hervor und wischte sich die Schmiere und den Schweiß vom bärtigen Gesicht. »Es geht«, keuchte er. Die Hände zitterten ihm von der großen Anstrengung, er war nicht einmal erregt, als der Physiker sagte: »Ich schalte die erste ein.« »Hundertsiebzig, hundertdreiundsechzig, hundertsechzig …«, rezitierte der Doktor gleichmäßig, das Heulen des Dynamos übertönend, der bereits den Anlaßstrom an den Reaktor gab und mit jedem Augenblick mehr Sauerstoff brauchte, um die Umdrehungszahl zu halten. »Volle Belastung!« schrie der Ingenieur, der die elektrischen Uhren beobachtete. »Ich schalte alles ein!« rief der Physiker mit brüchiger, verzweifelter Stimme, duckte sich, wie in Erwartung eines Schlages, und drückte mit beiden Händen die schwarzen Hebel nach unten. Er riss den Mund auf. Unbewußt presste der Koordinator seinen Arm. Sie starrten auf die rechteckigen Scheiben, von denen das Glas abgesplittert war, und die provisorisch geradegebogenen Zeiger. Sie beobachteten den Zähler für die Stromdichte der schnellen Neutronen, die Kontrolluhr für die Zirkulation der elektromagnetischen Pumpen, die Anzeiger der Isotopenverunreinigungen und die vereinten Thermodämpfe im Innern der Säule. Der Elektrogenerator stöhnte und heulte, Funken sprühten zwischen den ungenau anliegenden Ringen. Hinter dem dicken, glänzenden Panzer der Säule herrschte Totenstille. Die Zeiger zuckten nicht einmal. Plötzlich wurde vor den Augen des Physikers alles trübe und verschwamm. Er kniff die Augen zu, und als er sie aufschlug, noch voller Tränen, sah er die Zeiger auf Arbeitspositionen. »Der kritische Punkt ist überschritten!« schrie der Physiker laut und schluchzte, ohne die beiden Hebel loszulassen. Er spürte, wie seine Muskeln erschlafften. Die ganze Zeit erwartete er eine Detonation. »Die Zeiger klemmen wahrscheinlich«, sagte der Koordinator ruhig, als sähe er nicht, was mit dem Physiker geschah. Er konnte nur mit Mühe sprechen, so fest presste er die Kiefer zusammen. »Neunzig, achtzig, zweiundsiebzig …«, rief der Doktor. »Jetzt!« brüllte der Ingenieur und warf mit der Hand, über die er einen großen roten Handschuh gezogen hatte, den Hauptschalter herum. Der Generator stöhnte auf und verlor sofort an Umdrehungen.
    Der Ingenieur stürzte zum Kompressor und schloss beide Zuführventile. »Sechsundvierzig, sechsundvierzig, sechsundvierzig«, wiederholte der Doktor gleichmäßig.
    Die Turbine bekam keinen Sauerstoff mehr aus der

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