Eden
Flasche. Die Lampen erblaßten rasch; es wurde immer dunkler. »Sechsundvierzig, sechsundvierzig …«, rief der Doktor aus dem Stollen.
Plötzlich erstrahlten die Lampen von neuem. Der Generator bewegte sich kaum noch, aber Strom war da, denn alle angeschlossenen Uhren zeigten wachsende Spannung an. »Sechsundvierzig … sechsundvierzig …«, wiederholte nach wie vor der Doktor, der in seinem stählernen Brunnen noch nichts wusste. Der Physiker ließ sich auf den Fußboden fallen und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Es war fast still. Der Rotor des Generators drehte sich immer langsamer, schaukelte aus, wackelte noch einmal und blieb stehen.
»Sechsundvierzig … sechsundvierzig«, hallte die Stimme des Doktors unablässig. »Was macht das Leck?« fragte der Koordinator. »Normal«, erwiderte der Kybernetiker. »Offenbar ist vorher auf dem Höhepunkt der Drosselung etwas durchgesickert, aber der Automat hat das Leck zementiert, ehe der Kurzschluss eintreten konnte.« Er sagte nichts weiter, doch sie begriffen, wie stolz er auf diesen Automaten war. Mit der einen Hand hielt er heimlich die Finger der anderen, weil sie zitterten. »Sechsundvierzig …«, rief der Doktor noch immer. »Mann, hör auf!« brüllte der Chemiker plötzlich in den Stollen. »Nicht mehr nötig! Die Säule gibt Strom!« Ein kurzes Schweigen folgte. Die Säule arbeitete geräuschlos wie immer. In der stählernen Umrandung tauchte das blasse, vom dunklen Bart gerahmte Gesicht des Doktors auf. »Wirklich?« Keiner antwortete. Sie blickten auf die Uhren, als ob sie sich an den Zeigern nicht satt sehen konnten, die, ohne zu zittern, auf Arbeitspositionen standen. »Wirklich?« fragte der Doktor noch einmal und lachte lautlos. »Was ist mit dem los?« fragte der Kybernetiker ärgerlich. »Laß das!« Der Doktor kroch heraus, hockte sich neben den Physiker und schaute wie die anderen auf die Uhren. Keiner wusste, wie lange das dauerte. »Soll ich euch mal was sagen?« begann der Doktor mit jugendlicher, frischer Stimme. Alle sahen ihn an, als habe er sie aufgeweckt. »Ich war noch nie so glücklich«, flüsterte er und wandte das Gesicht ab.
Viertes Kapitel
In der späten Dämmerung traten der Koordinator und der Ingenieur ins Freie, um Luft zu schöpfen. Sie setzten sich auf den Haufen Sand, den sie herausgeschafft hatten, und betrachteten den letzten Saum der rubinroten Sonnenscheibe. »Das hätte ich nicht gedacht«, murmelte der Ingenieur. »Ich auch nicht.«
»Keine schlechte Arbeit, die Säule, stimmt’s?« »Solide irdische Arbeit.«
»Kaum vorzustellen, dass sie das ausgehalten hat!« Sie schwiegen eine Weile. »Ein schöner Anfang«, begann der Koordinator wieder. »Es wird noch etwas zu nervös gearbeitet«, bemerkte der Ingenieur. »Weißt du, das ist ein Langstreckenlauf. Unter uns gesagt, wir haben ungefähr ein Hundertstel von dem getan, was zu tun ist, damit…«
»Ich weiß. Übrigens steht noch nicht fest, ob …« »Der gravimetrische Regler, wie?« »Nicht nur. Die Steuerdüsen, das gesamte untere Deck.« »Das schaffen wir.« »Ja.« Die Blicke des Ingenieurs, die blind über die Umgebung schweiften, blieben dicht hinter dem Hügel an einer länglichen, nicht sehr hohen Aufschüttung hängen. Das war die Stelle, wo sie die Reste des Geschöpfes vergraben hatten.
»Ich hatte das völlig vergessen«, sagte er verwundert. »Mir ist, als wäre es vor einem Jahr geschehen, weißt du.«
»Ich nicht. Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, das heißt an dieses Tier. Und zwar an diesen Gegenstand, den der Arzt in seiner Lunge fand.« »Wie? Ach so, er sagte ja etwas darüber. Was ist es denn gewesen?« »Eine Nadel.« »Was?« »Vielleicht auch keine Nadel. Du kannst es dir selbst ansehen. Es steht im Glas, in der Bibliothek. Ein Stück dünnes Rohr, abgebrochen, mit einem scharfen Ende, das schräg geschnitten ist, wie die Injektionsnadeln.« »Was denn…?« »Mehr weiß ich nicht.« Der Ingenieur stand auf. »Es ist erstaunlich, aber ich begreife selbst nicht, warum mich das so wenig interessiert. Eigentlich gar nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Weißt du, ich fühle mich jetzt so wie vor dem Start. Oder wie ein Flugpassagier, der für ein paar Minuten auf einem fremden Flughafen gelandet ist, sich unter die Menge der Einheimischen gemischt hat und Zeuge einer sonderbaren, unbegreiflichen Szene geworden ist, der aber weiß, dass er nicht zu diesem Ort gehört, dass er wenig später wegfliegen wird. Und so dringt aus der
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