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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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betreffende kreisrunde Öffnung von keinem anderen Punkt sichtbar ist als von dem schmalen Vorsprung auf dem Felsengipfel. Bei diesem Ausflug nach ›des Bischofs Haus‹ war ich von Jupiter begleitet gewesen, der zweifellos schon seit Wochen mein tiefsinniges Wesen bemerkt hatte und große Sorge trug, mich nicht allein zu lassen. Am anderen Tag aber stand ich ganz früh auf, und es gelang mir, ihm auszureißen; ich begab mich in das Hügelgelände, um den Baum zu suchen. Nach vieler Mühe fand ich ihn. Als ich in jener Nacht heimkam, wollte mein Diener mich durchprügeln. Mit dem Rest des Abenteuers sind Sie ja ebenso bekannt wie ich.«
    »Ich vermute«, sagte ich, »Sie verfehlten die Stelle bei unserer ersten Nachgrabung durch Jupiters Dummheit, der den Käfer durch das rechte anstatt durch das linke Auge des Schädels fallen ließ.«
    »Ganz recht. Dieser Mißgriff ergab eine Differenz von etwa zweieinhalb Zoll im ›Schuß‹, das heißt in der Stellung des Pflocks zum Baum; und hätte sich der Schatz unter dem ›Schuß‹ befunden, so wäre der Irrtum ohne Bedeutung gewesen. Aber der ›Schuß‹ nebst dem nächsten Punkt des Baumes waren lediglich zwei Punkte zur Aufstellung einer Richtungslinie; so gering der Irrtum anfänglich auch gewesen, so sehr vergrößerte er sich bei Fortführung der Linie und warf uns, als wir fünfzig Fuß erreicht hatten, ganz aus der Spur. Hätte ich nicht die tiefinnerliche Überzeugung gehabt, daß hier herum tatsächlich ein Schatz vergraben sei, so wäre alle unsere Arbeit umsonst gewesen.«
    »Aber Ihr großartiges Auftreten und Ihr merkwürdiges Getue mit dem Käfer, das Hinundherschwingen – wie sonderbar war dies alles! Ich war überzeugt, Sie seien verrückt. Und warum bestanden Sie darauf, statt einer Flintenkugel den Käfer durch den Schädel fallen zu lassen?«
    »Ja – offen gestanden ärgerte mich Ihr ewiger Argwohn in betreff meiner Gesundheit, und ich beschloß daher, Sie auf meine Weise durch ein bißchen Mystifikation zu bestrafen. Aus diesem Grund schwenkte ich den Käfer, und aus diesem Grund ließ ich gerade ihn vom Baum werfen. Eine Bemerkung Ihrerseits über sein großes Gewicht brachte mich auf diesen Gedanken.«
    »Ja, ich verstehe. Und nun ist mir noch eins unklar. Was sollen wir von den Gerippen halten, die wir in der Grube fanden?«
    »Das ist eine Frage, die ich ebensowenig beantworten kann wie Sie selbst. Es gibt jedoch nur eine einzige einleuchtende Erklärung – ist es auch noch so gräßlich, der entsetzlichen Vermutung, die ich aufstellen will, Glauben zu schenken. Es ist klar, daß Kidd – wenn eben, was ich nicht bezweifle, er es war, der den Schatz vergrub –, ich sage, es ist klar, daß er Helfer bei der Arbeit gehabt haben muß. Nach Beendigung der Arbeit mag er es aber für ratsam gehalten haben, alle Mitwisser des Geheimnisses beiseite zu schaffen. Vielleicht genügten wenige Beilhiebe, während seine Mithelfer in der Grube tätig waren – vielleicht war auch ein Dutzend nötig –, wer kann es sagen?«

Der Mann der Menge

    Ce grand malheur, de ne pouvoir être seul.
    La Bruyère.

    Es war nicht schlecht, dies › Es läßt sich nicht lesen ‹, was man von einem gewissen deutschen Buche sagte. Es gibt Geheimnisse, die nicht gestatten, daß man sie ausspricht. Menschen sterben nachts in Betten, pressen die Hände gespenstischer Beichtväter, blicken ihnen Erbarmen suchend ins Auge – sterben mit verzweifelndem Herzen und gekrampfter Kehle, denn die entsetzlichen Geheimnisse, die nicht dulden, daß man sie enthüllt, erdrücken sie. Ach, hie und da nimmt das Gewissen der Menschen eine Last auf, die so entsetzlich ist in ihrer Schwere, daß sie nicht früher abgeworfen werden kann als im Grabe. Und so wird das innerste Wesen des Verbrechens nicht offenbart.
    Vor nicht allzu langer Zeit saß ich in der Abenddämmerung an einem großen Bogenfenster des D...schen Kaffeehauses in London. Ich war einige Monate krank gewesen, nun aber auf dem Wege der Besserung, und je mehr meine Kräfte zurückkehrten, desto glücklicher wurde meine Stimmung, die man als das Gegenteil von Langeweile bezeichnen muß; es war ein Zustand voll inneren Aufmerkens, voll heftiger Begier nach Neuem, es war mir gewissermaßen, als blicke mein geistiges Auge zum erstenmal frei und unverschleiert – das ἀχλυς ἣ πρὶν επηεν – und der angespannte Intellekt überragt dann so sehr seinen gewöhnlichen Zustand, wie der feurige und doch aufrichtige

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