Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
Zusammensetzung dieser Teile stets der Verbesserung bedürfen. Kurz, auf der ganzen Oberfläche der Erde wird man keinen Punkt finden können, von dem aus gesehen die Komposition der Landschaft für ein künstlerisches Auge nicht irgendeinen Fehler enthält. Und doch, wie unverständlich ist dies! Man hat uns mit Recht gelehrt, in jeder anderen Beziehung die Natur als vollkommen zu verehren, und wir fürchten uns, bei der Nachbildung ihrer Einzelheiten mit ihr zu rivalisieren. Wer wagte es, die Farben der Tulpen nachzuahmen oder die Proportionen der Lilie zu verbessern? Die Kritik, die von der Skulptur oder Porträtkunst behauptet, daß hier die Natur mehr geadelt und idealisiert als nachgeahmt wird, befindet sich im Irrtum. Keine gemalte oder plastische Nachbildung von Elementen menschlicher Schönheit kann mehr tun, als sich der lebenden, atmenden Schönheit nähern. Nur auf die Landschaft allein kann dieses Prinzip der Kritik mit Recht Anwendung finden, und da sie seine Wahrheit hier fühlte, trieb die unbesonnene Neigung zu Verallgemeinerungen sie dazu, dasselbe auch auf allen anderen Kunstgebieten für richtig zu halten. Da sie seine Wahrheit fühlte, sagte ich, denn das Gefühl führt uns niemals zu erkünstelter Überzeugung und Trugschlüssen. Die Mathematik hat keine absolutere Beweiskraft, als das Kunstgefühl für den Künstler hat. Er glaubt nicht nur, sondern weiß positiv, daß diese und jene scheinbar willkürliche Zusammenstellung seiner Stoffe die wahre Schönheit zum Resultat haben wird. Seine Gründe jedoch sind noch nicht bis zur Formel gereift. Einer Analyse, die tiefer sieht als alle bis jetzt bekannten, bleibt es überlassen, diese Gründe vollständig zu erforschen und zu formulieren. Immerhin ist der Künstler schon heute durch die Stimme all seiner Brüder von der Richtigkeit seiner instinktiv gefaßten Meinungen vollständig überzeugt. Stellen wir uns einmal eine fehlerhafte Komposition vor, und nehmen wir an, daß man ihre Anordnung verbessert und daß man die Verbesserung allen Künstlern der Welt zur Beurteilung vorlegt. Ein jeder von ihnen wird ihre Notwendigkeit zugeben. Mehr noch! Um dem Fehler der betreffenden Komposition abzuhelfen, würde jeder der Künstler die gleiche Verbesserung vorgeschlagen haben.
Ich wiederhole, daß allein in der Komposition der Landschaft die physische Natur der Vervollkommnung fähig ist, und daß ich das Geheimnis, weshalb sie gerade in diesem einen Punkte der Verbesserung fähig erscheint, nicht lösen konnte. Meine eigenen Gedanken hierüber lagen in dem Glauben beschlossen, daß der Urwille der Natur die Oberfläche der Erde so geschaffen habe, daß sie in jedem Punkte dem Gefühl des Menschen für die Vollkommenheit in der Schönheit, dem Erhabenen oder dem Malerischen Genüge tue, daß jedoch diese ihre Urabsicht durch die bekannten geologischen Umwälzungen vereitelt worden sei – durch die Umwälzungen von Formen und Farbenzusammenstellungen, in deren Verbesserungen und Mischungen die Seele aller Kunst liegt. Die überzeugende Kraft dieser Annahme wurde jedoch durch die aus ihr resultierende Notwendigkeit, diese Umwälzungen als anormale und zwecklose anzusehen, sehr abgeschwächt. Ellison jedoch behauptete, daß sie Anzeichen des Todes seien, und suchte sie so zu erklären: »Nehmen wir an, die irdische Unsterblichkeit des Menschen sei eigentlich ihre Urabsicht gewesen. Die erste Anordnung der Oberfläche der Erde war also diesem seligen Zustande angepaßt, einem Zustand, der nicht verwirklicht, doch beabsichtigt wurde. Diese Umwälzungen waren nur Vorbereitungen für seinen später beabsichtigten und auch verwirklichten sterblichen Zustand.«
»Überdies« – behauptete mein Freund weiter – »was wir als eine Vervollkommnung der Landschaft ansehen, kann wirklich eine solche sein, doch nur vom moralischen oder menschlichen Standpunkte aus. Jede Änderung der natürlichen Szenerie kann möglicherweise für das Gesamtbild einen Makel bedeuten, wenn wir uns dasselbe, im großen, en masse gesehen, von irgendeinem von der Oberfläche der Erde entfernten, doch nicht außerhalb ihrer Atmosphäre liegenden Punkte überschaut vorstellen. Jeder wird leicht verstehen, daß die Vervollkommnung eines in der Nähe gesehenen Details den allgemeinen, erst auf eine gewisse Entfernung hin erreichbaren Eindruck stören kann. Es ist auch nicht unmöglich, daß es eine Klasse von Wesen gibt, welche, einst menschlich, dennoch der Menschheit unwahrnehmbar
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