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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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mitteilen?«
    Für einen kurzen Augenblick traten die hektischen Flecken wieder auf die Wangen, die Zunge bebte oder vielmehr rollte heftig im Munde, obgleich die Kiefer und Lippen so starr blieben wie vorher, und schließlich brach dieselbe grauenhafte Stimme hervor, wie ich sie schon geschildert habe:
    »Um Gotteswillen! – schnell! – schnell! – schläfern Sie mich ein – oder schnell! – erwecken Sie mich! – schnell! – ich sage Ihnen ja, daß ich tot bin!«
    Ich war vollständig außer Fassung und konnte mich im Augenblick nicht entscheiden, was ich tun sollte. Zuerst versuchte ich, den Patienten zu beruhigen; da mir das aber mangels jeder Willenskraft nicht gelang, tat ich das Umgekehrte und gab mir alle Mühe, ihn zu erwecken. Ich sah auch bald ein, daß ich hierbei wenigstens Erfolg haben würde – oder wenigstens bildete ich mir das ein, wie auch alle andern im Zimmer glaubten, der Patient würde sogleich erwachen.
    Was aber wirklich geschah, darauf konnte unmöglich irgendein menschliches Wesen vorbereitet sein.
    Während ich ganz schnell meine mesmerischen Striche machte, brachen die Ausrufe »tot! tot! tot!« direkt von der Zunge und nicht von den Lippen des Leidenden, und plötzlich im Zeitraum von kaum einer Minute sank der ganze Körper unter meinen Händen in sich zusammen. Er zerfiel und verweste förmlich vor unser aller Augen, und auf dem Bett lag nur noch eine halbflüssige Masse von unerträglicher, ekler Fäulnis.

Das Gut zu Arnheim

    Der Garten war geschmückt wie eine schöne Frau, Die hingestreckt in wonn‘gem Schlummer liegt Geschloßnen Aug‘s hinauf zum Himmel träumt. Die Azurflur spannt oben rund sich aus, Und an den Irisblicken unten lasten schwere Tropfen Von Glitzertau und schimmern manchmal auf, Wie Sterne zwinkern in des Abends tiefem Blau.
    Gills Fletcher

    Von der Wiege bis zum Grabe segelte mein Freund Ellison in einem wahren Sturm von Wohlergehen dahin. Ich meine hier das Wort Wohlergehen noch nicht einmal so sehr in seinem äußeren, weltlichen Sinne, sondern verstehe darunter wirkliches inneres Glück. Die Person, von der ich rede, schien geboren zu sein, um den Doktrinen eines Turgot, Price, Priestley und Condorcet als Symbol zu dienen – ein leuchtender Beweis für die Möglichkeit dessen, was man einmal die ›Chimäre der Perfektionisten‹ genannt hat. Es kommt mir vor, als hätte ich während der Lebensdauer Ellisons das Dogma widerlegt gesehen, welches sagt, daß im Wesen des Menschen ein geheimnisvolles Prinzip als Gegner jeglichen Glückes wirke. Eine genaue Untersuchung seiner Lebensweise hat in mir die Ansicht befestigt, daß im allgemeinen das Elend der Menschen seinen Ursprung in der Verletzung einiger einfacher Gesetze der Menschlichkeit hat – daß die Elemente der Zufriedenheit latent in uns liegen – und daß selbst heutzutage, in der Dunkelheit und Verworrenheit aller Gedanken über die große soziale Frage, der Mensch, das Individuum, unter gewissen ungewöhnlichen Umständen glücklich sein kann.
    Mein junger Freund war von solchen und ähnlichen Ansichten vollkommen durchdrungen; indes ist es nicht überflüssig zu bemerken, daß das ungetrübte Glück, das sein Leben überstrahlte, das Resultat eines streng befolgten Systems war. Denn es liegt wohl auf der Hand, daß sich Ellison ohne jene instinktive Philosophie, die zuweilen die Erfahrung vollkommen ersetzt, in den Wirbel von Unglück gestürzt haben werde, der alle vom Schicksal außerordentlich begünstigten Menschen umkreist. Doch beabsichtige ich nicht, einen Essay über das Glück zu schreiben. Die Ideen meines Freundes lassen sich in wenige Worte zusammenfassen. Sie beschränken sich auf nur vier Prinzipien oder, genauer, vier Elementarbedingungen zum Glück. Für die hauptsächlichste hielt er – es klingt seltsam genug – körperliche Übungen im Freien. Er pflegte zu sagen: »Die Gesundheit, die man auf andere Weise erwirbt, ist dieses Namens kaum wert.« Er sprach mit Feuer von den Freuden der Fuchsjagd und nannte die Ackerbauern die einzigen Menschen, die man als Klasse füglich für glücklicher halten könne als irgendeine andere. Die zweite Bedingung war die Liebe zum Weibe. Die dritte und am schwersten erfüllbare war die Verachtung jeglichen Ehrgeizes. Die vierte Bedingung endlich war das Objekt seines unaufhörlichen Strebens; und er behauptete, daß, wenn alle anderen Bedingungen gleich gut erfüllt würden, die Größe des erreichbaren Glücks im Verhältnis zu der

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