Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
selbst vollbrachten Vervollkommnung des allgemeinen Zustandes der Menschen überhaupt glaubte er, wie ich leider gestehen muß, in nur sehr beschränktem Maße. Kurz, zu seinem Glück oder Unglück kehrte er stets wieder auf sich selbst zurück.
Er war im edelsten und weitesten Sinne ein Poet. Er verstand überdies den wahren Charakter, die erhabenen Ziele, glaubte an die höchste Würde und größte Notwendigkeit des poetischen Gefühls. Sein Instinkt sagte ihm, daß die vollkommenste, wenn nicht die einzige Befriedigung dieses Gefühles in dem Schaffen neuer Formen der Schönheit bestehe. Einige Besonderheiten, in seiner Erziehung vielleicht oder in der Natur seiner Verstandesfähigkeiten, hatten seinen ethischen Spekulationen eine Neigung zum Materialismus gegeben; und wahrscheinlich führte ihn diese Neigung zu dem Glauben, daß das beste, wenn nicht allein berechtigte Gebiet der Ausübung poetischer Fähigkeiten das Schaffen neuer Formen rein physischer Schönheit sei. Dies war wohl auch die Ursache, daß er weder Musiker noch Dichter wurde – wenn wir hier dieses Wort einmal in seiner Alltagsbedeutung gebrauchen wollen. Vielleicht hatte er es auch nur versäumt, das eine oder andere zu werden, weil er seiner Lieblingsidee folgte, der Überzeugung nämlich, daß in der Verachtung jeglichen Ehrgeizes eine der wesentlichsten Bedingungen zum Erdenglücke liegt. Und ist es wirklich so schwer zu glauben, daß, wenn ein Genie höherer Ordnung notwendig ehrgeizig ist, ein solches höchster Ordnung selbst über dem steht, was man Ehrgeiz nennt? Und könnte es auf diese Weise nicht vorkommen, daß viel Größere als Milton zufrieden ›stumm und ruhmlos‹ blieben? Ich glaube, daß die Welt – wenn nicht durch eine Reihe anstachelnder Zufälle ein Genie jener höchsten Ordnung zu der ihm widerstrebenden Ausführung seiner Ideen gezwungen wird – niemals das vollkommene, triumphierende Werk sehen und nie bemerken würde, was die menschliche Natur auf den reichsten Gebieten der Kunst zu schaffen fähig ist.
EIlison wurde weder Musiker noch Dichter, obwohl kein Mensch Musik und Dichtung heißer liebte als er. Unter anderen Lebensumständen wäre er vielleicht Maler geworden. Die Skulptur ist, obgleich ihrem Wesen nach dichterisch, eine Kunstform, deren Sphäre und Wirkung zu beschränkt ist, als daß sie seine Aufmerksamkeit lange und tiefer in Anspruch hätte nehmen können. Ich habe nun alle Gebiete aufgezählt, in welchen sich der poetische Geist nach Behauptung der Kenner äußern kann. Ellison jedoch behauptete, daß das reichste, wirklichste und natürlichste, wenn nicht sogar das allerausgedehnteste Gebiet in unerklärlicher Weise vernachlässigt worden sei. Noch nie hat irgendeine Definition von dem Landschaftsgärtner als von einem Dichter gesprochen; mein Freund jedoch glaubte, daß die Schöpfung eines Landschaftsgartens der Muse eine ganz besonders glückliche Gelegenheit zu Äußerungen geben werde. Hier breitete sich in der Tat der Phantasie das herrlichste Feld zu unaufhörlicher Verbindung von neuen Formen der Schönheit aus; denn die Elemente dieser Verbindungen sind die schönsten, die die Erde dem Künstler überhaupt darbietet. In der Vielgestalt und Farbigkeit der Blumen und Bäume erkannte Ellison den mittelbarsten und kräftigsten Willen der Natur zu physischer Schönheit. Und zu der Leitung und Konzentration dieses Willens – oder besser, zu seiner Anpassung an die Augen, die ihn auf Erden erkennen sollten, glaubte er sich verpflichtet, die besten Mittel anzuwenden und fruchtbringend zu arbeiten: um so nicht nur seinen Beruf als Dichter zu erfüllen, sondern auch den erhabenen Zwecken zu dienen, um derentwillen die Gottheit dem Menschen das poetische Gefühl gegeben habe.
»Seine Anpassung an die Augen, die ihn auf Erden erkennen sollen.«
Durch die Erklärung, die Ellison diesem Satz gab, wurde mir etwas offenbar, das mir lange Zeit ein Rätsel geschienen – ich meine die Tatsache (die nur ein Ignorant bestreiten kann), daß in der Natur keine solche Verbindung von Szenerien besteht, wie ein genialer Maler sie schaffen kann. Man findet in der Wirklichkeit keine Paradiese, wie sie auf der Leinwand Claude Lorrains erstrahlen. In der entzückendsten natürlichen Landschaft wird man immer einen Fehler oder ein »Allzuviel«, viele Fehler, viele »Allzuviel«, entdecken. Während die einzelnen wesentlichen Bestandteile der Geschicklichkeit jedes Menschenkünstlers Hohn sprechen, wird die
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