Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
von einer großen Stadt liegt, deren Nähe mir im übrigen auch die Ausführung meines Werkes wesentlich erleichtern wird.«
Auf der Suche nach einem solchen Orte reiste Ellison mehrere Jahre umher, und ich hatte den Vorzug, ihn begleiten zu dürfen. Unzählige Orte, die mich mit Entzücken erfüllten, schienen ihm aus Gründen, die mich nach einigem Nachdenken stets überzeugten, ungeeignet. Endlich gelangten wir an ein hochgelegenes Tafelland von wunderbarer Fruchtbarkeit und Schönheit, das einen Rundblick gewährte, der an Weite dem, welchen man vom Gipfel des Ätna hat, nicht viel nachstand und sowohl meiner als Ellisons Meinung nach die weitgerühmte Aussicht von jenem Berge in allen Dingen des wahrhaft Malerischen übertraf.
»Ich weiß sehr wohl« sagte er einmal mit einem Seufzer des Entzückens, nachdem er das Bild wohl eine Stunde lang wie gebannt betrachtet hatte, »ich weiß sehr wohl, daß in meiner Lage neun Zehntel aller Menschen hier zufrieden bleiben würden. Dies Panorama ist wirklich wundervoll, und ich würde mich in Frieden an ihm erfreuen, wenn es nicht eben so übermäßig herrlich wäre. Alle Architekten, die ich kenne, hatten die Neigung, um der ›Aussicht‹ willen ihre Gebäude auf der Spitze eines Hügels oder Berges zu errichten. Es liegt auf der Hand, daß dies eine schlechte Spekulation ist. Größe jeder Art, doch besonders die des Raumes, macht unruhig, regt auf – ermüdet auf die Dauer und drückt nieder. Es kann nichts Besseres geben für eine gelegentlich gesehene Landschaft – für eine, die man immer vor Augen haben muß, gibt es nichts Schlimmeres. Die für den beständigen Anblick unangenehmste Größe ist die der Ausdehnung und die schlimmste Ausdehnung der Raum. Sie steht in Widerspruch mit dem Gefühl und dem Bedürfnis nach Abgeschlossenheit, das wir zu befriedigen wünschen, wenn wir uns ›aufs Land zurückziehen‹. Wenn wir von dem Gipfel eines Berges ausschauen, können wir der Empfindung nicht wehren, ›draußen‹ in der Welt zu sein. Der Seelenkranke meidet weite Aussichten wie die Pest.«
Erst gegen Ende des vierten Jahres unserer Nachforschungen fanden wir eine Gegend, die Ellison zu befriedigen schien. Es ist ohne Zweifel überflüssig, zu sagen, wo sich diese Gegend befand. Der kürzlich erfolgte Tod meines Freundes öffnete sein Besitztum einer gewissen Klasse von Besuchern und gab dem Gute von Arnheim eine Art geheimer, fast feierlicher Berühmtheit, die, obwohl sie bedeutend größer war, derjenigen glich, die Fonthill so lange Zeit hindurch auszeichnete.
Gewöhnlich begab man sich auf dem Flusse nach Arnheim. Man verließ die Stadt am frühen Morgen. Während des Vormittags glitt man an Ufern von ruhiger und traulicher Schönheit vorüber, wo auf den glänzend grünen Wiesen Scharen weißwolliger Schafe weideten. Nach und nach schwand der Eindruck von Kultur zu dem eines bloß pastoralen Lebens hin. Dieser änderte sich allmählich in einen Eindruck von Abgeschlossenheit, der sich bald zu einem vollkommenen Bewußtsein von Einsamkeit steigerte. Als sich der Abend nahte, wurde der Fluß enger, die mit reicherem, üppigerem, dunklerem Laubwerk bewachsenen Ufer langsam steiler und das Wasser durchsichtiger. Der Fluß machte tausend Biegungen, so daß man seine Oberfläche niemals weiter als bis vielleicht auf eine achtel Meile überschauen konnte. Jeden Augenblick schien das Fahrzeug in einen Zauberkreis gekommen zu sein, den undurchdringliche Laubwände ringsum abschlossen, ein Dach aus ultramarinblauer Seide überspannte, und der ohne Boden war, denn der Kiel des Schiffes tanzte mit wundervoller Geschicklichkeit auf dem eines phantomhaften Fahrzeuges, das irgendein Zufall umgestürzt und das nun das wirkliche Schiff beständig zu stützen und zu begleiten schien. Die Wasserstraße wurde nun eine Schlucht – ich bediene mich dieses Wortes, obwohl es hier eigentlich nicht anwendbar ist, weil die Sprache kein anderes hat, das den auffallendsten und unterscheidendsten Zug der Landschaft besser wiedergibt. Der Eindruck der Schlucht wurde nur durch die hohen, parallel laufenden Ufer hervorgerufen, sonst war nichts in der Landschaft dazu angetan, ihn zu erregen. Die Wände dieses Hohlweges, zwischen denen das Wasser klar und friedlich dahinströmte, erhoben sich bis zu einer Höhe von hundert, ja, wohl hundertfünfzig Fuß und waren so gegeneinander geneigt, daß sie beinahe kein Tageslicht hindurchließen, während das lange, federartige Moos, das dicht
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