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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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behauptete, ein so völlig selbständiges, das heißt ohne sichtbare Spuren einer Suggestion entstandenes Volksempfinden trage die nicht mißzuverstehenden Elemente der Wahrheit in sich und verdiene größte Beachtung.
    Tatsache ist, daß bald nach meinem Eintreffen dort im Landhaus mir ein so ganz unerklärliches Ereignis begegnete, daß meine Neigung, darin ein Omen zu sehen, begreiflich war. Es erschreckte, verwirrte und bestürzte mich gleichzeitig so, daß viele Tage vergingen, ehe ich mich dazu entschließen konnte, meinem Freunde die Umstände mitzuteilen.
    Ein außerordentlich warmer Tag ging zu Ende, als ich mit einem Buch in Händen am offenen Fenster saß, das hinter einem weiten Blick auf beide Flußufer einen fernen Hügel sehen ließ. Ein sogenannter Erdrutsch hatte die mir zugekehrte Seite der Berglehne zum großen Teil der Bäume beraubt. Meine Gedanken waren lange von dem Buch vor mir zu der Trauer und Verzweiflung der nachbarlichen Stadt gewandert. Als ich die Blicke von den Seiten erhob, fielen sie auf die kahle Bergwand und auf ein Wesen – ein lebendiges Ungeheuer von entsetzlicher Gestalt, das eilig seinen Weg vom Gipfel zur Talsohle nahm und schließlich drunten im dichten Forst verschwand. Als dieses Geschöpf zuerst sichtbar wurde, zweifelte ich an meinen gesunden Sinnen, wenigstens an der Klarheit meines Blickes, und viele Minuten vergingen, ehe ich mich wirklich überzeugt hatte, weder verrückt noch traumbefangen zu sein. Wenn ich nun aber das Ungeheuer beschreibe (das ich deutlich sah und ruhig auf seinem ganzen Wege beobachtete), so – fürchte ich – werden meine Leser hinsichtlich dieser beiden Punkte schwerer zu überzeugen sein als sogar ich selbst.
    Aus einer Vergleichung mit dem Umfang der großen Bäume, an denen das Ungetüm vorüberkam – der paar Waldriesen, die der Wucht des Erdrutsches standgehalten hatten –, mußte ich schließen, daß es weit größer war als irgendein vorhandenes Linienschiff. Ich sage »Linienschiff«, weil die Gestalt des Monstrums den Gedanken nahelegte; der Rumpf eines unsrer mit vierundsiebzig Kanonen bestückten Linienschiffe vermittelt ein ganz anschauliches Bild von dem Bau des Tieres. Sein Maul befand sich am Ende eines sechzig bis siebzig Fuß langen Rüssels, der den Umfang eines normalen Elefanten hatte. An der Wurzel dieses Rüssels war ein wahrer Wald von schwarzem zottigen Haar – mehr als genügend für die Felle von ein paar Dutzend Büffeln, und aus diesem Haarwald sprangen seitlich und abwärts geneigt zwei schimmernde Stoßzähne vor, ähnlich denen des wilden Ebers, doch von ganz maßloser Größe. Gleichlaufend mit dem Rüssel und an dessen beiden Seiten streckte sich je ein riesiger, dreißig bis vierzig Fuß langer Schaft vor, der aus klarstem Kristall zu bestehen schien und ganz die Form eines Prismas hatte: – er gab eine prachtvolle Spiegelung der Strahlen der untergehenden Sonne. Der Rumpf war keilförmig, das dünne Ende am Erdboden. Aus dem Rumpf breiteten sich zwei Paar Flügel auf – jeder Flügel von fast hundert Meter Länge – das eine Paar saß über dem andern, und alles war dicht mit metallenen Schuppen besetzt, jede Schuppe von etwa zehn bis zwölf Fuß Durchmesser. Ich beobachtete, daß das obere Schwingenpaar mit dem untern durch eine starke Kette verbunden war. Doch die größte Besonderheit dieses entsetzlichen Wesens war das Bild eines Totenkopfs, das fast seine ganze Brust bedeckte und sich von dem dunklen Hintergrund des Körpers so deutlich in schimmernder Weise abhob, als habe es ein Künstler sorgfältig gezeichnet. Während ich das fürchterliche Tier und besonders die Zeichnung auf seiner Brust mit Scheu und Grausen betrachtete – mit einem Vorgefühl kommenden Unheils, das ich mit allen Vernunftgründen nicht besiegen konnte –, sah ich, wie sich plötzlich die gewaltigen Kiefer am Ende des Rüssels auftaten, und es folgte ein so lautes und ausdrucksvolles Wehgeheul, daß es auf meine Nerven wie eine Totenglocke wirkte; und als das Ungeheuer am Fuße des Hügels verschwand, sank ich zugleich ohnmächtig zu Boden.
    Als ich mich erholte, war natürlich mein erster Gedanke, meinem Freund von dem, was ich gesehen und gehört hatte, Mitteilung zu machen – und ich habe kaum eine Erklärung dafür, welche widerstrebende Empfindung mich davon zurückhielt.
    Eines Abends endlich, drei oder vier Tage nach dem Ereignis, saßen wir zusammen in dem Zimmer, von dem aus ich die Erscheinung gesehen hatte

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