Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
etwas so Tolles gehört!«
»Tatsache! – Alles war das Werk eines kühnen Dummkopfs – eines Wahnsinnigen –, der es sich irgendwie in den Kopf gesetzt hatte, ein besseres System zur Behandlung Geisteskranker gefunden zu haben, als je dagewesen war. Er wollte vermutlich einen Versuch damit machen und überredete die andern Kranken zu einer Verschwörung gegen die herrschende Gewalt.«
»Und er hatte Erfolg?«
»Vollständig! Wärter und Kranke mußten ihre Rollen vertauschen. Das stimmt allerdings nicht ganz, denn die Irren waren frei gewesen, die Wärter aber wurden von nun ab in Zellen gesperrt und – leider, muß ich sagen – sehr unhöflich behandelt.«
»Doch ich vermute, daß bald eine Gegenrevolution eintrat? Jener Zustand kann nicht lange gedauert haben. Die Landleute aus der Nachbarschaft – Besucher der Anstalt – würden Alarm geschlagen haben.«
»Da irren Sie. Der Rädelsführer war viel zu schlau. Er ließ keine Besucher ein – mit Ausnahme eines einzigen, sehr einfältig aussehende jungen Mannes, den er nicht zu fürchten brauchte. Er ließ ihn ein, sich die Anstalt zu besehen – ließ ihn ein, aus Spaß – der Abwechslung halber. Und als er ihm dann genug weisgemacht hatte, ließ er ihn wieder hinaus und schickte ihn weiter.«
»Und wie lange regierten die Irrsinnigen?«
»O, lange Zeit – wenigstens einen Monat –; wieviel länger, kann ich nicht genau sagen. Sie hatten eine gute Zeit, die Wahnsinnigen – das können Sie mir glauben! Sie legten ihre eigenen schäbigen Kleider ab und schmückten sich mit den Gewändern und Juwelen der Familie des Anstaltsleiters. In den Kellereien des Schlosses lag ein großer Weinvorrat; und diese Tollen sind gerade die Rechten zum Saufen. Sie lebten gut, sag‘ ich Ihnen!«
»Und die Behandlung – welcher Art war die Behandlung, die der Rädelsführer den Gefangenen angedeihen ließ?«
»Nun, was das anlangt – ein Geisteskranker ist nicht immer ein Narr, wie ich schon sagte; und es ist meine ehrliche Überzeugung, daß seine Behandlungsweise bei weitem besser war als die vorhergegangene. Ja wirklich – es war ein ganz prächtiges System – einfach – klar – ohne viel Umstände – kurzum, ein großartiges – – – –« Hier wurde meinem Gastgeber das Wort abgeschnitten durch eine Wiederholung jener wilden Schreie, wie sie sich schon einmal hatten hören lassen. Diesmal aber schienen sie von Leuten ausgestoßen zu werden, die eilig näher kamen.
»Herr des Himmels!« schrie ich auf, »die Wahnsinnigen sind ausgebrochen!«
»Ich fürchte sehr, daß es so ist«, sagte Herr Maillard, der furchtbar blaß wurde. Er hatte kaum ausgesprochen, als man unter den Fenstern laute Rufe und Verwünschungen hörte; und gleich darauf stellte es sich heraus, daß man von draußen versuchte, in den Saal einzudringen. Hammerschläge sausten gegen die Tür, und auch die Fensterladen wurden mit aller Kraft bearbeitet.
Eine entsetzliche Verwirrung war die Folge. Herr Maillard kroch zu meiner höchsten Verwunderung unter den Servierschrank. Ich hätte von ihm mehr Entschlossenheit erwartet. Die Mitglieder des Orchesters, die während der letzten Viertelstunde anscheinend zu betrunken gewesen waren, um ihren Pflichten nachzukommen, sprangen nun alle auf einmal zu ihren Instrumenten, kletterten auf ihren Tisch und brachen in den »Yankee Doodle« aus, den sie, wenn auch nicht ganz im Takt, doch mit übermenschlicher Energie während des ganzen Aufruhrs wieder und wieder spielten.
Den Speisetisch mit seinen zahllosen Flaschen und Gläsern hatte inzwischen jener Herr erklommen, den man vorher so schwer von diesem Tun zurückhalten konnte. Kaum hatte er oben Fuß gefaßt, so begann er eine Rede, die zweifellos glänzend war, wenn man sie nur hätte verstehen können. Gleichzeitig begann der Mann mit der Kreiselmanie sich mit Kraft und Ausdauer durchs Zimmer zu drehen; seine Arme hatte er in rechtem Winkel von sich gestreckt, so daß er wirklich wie ein Kreisel aussah und jeden niederwarf, der ihm in den Weg kam. Plötzlich hörte ich ein seltsames Knallen und Sprudeln wie von einer Sektflasche und entdeckte schließlich, daß es von jenem Manne herrührte, der vorhin bei Tisch die Sektflasche nachgeahmt hatte; und der Froschmensche quakte, als hinge sein Seelenheil an jedem Ton, den er zum besten gab. Und über das alles erhob sich das laute J-ah eines Esels. Was meine alte Freundin, Frau Joyeuse, anlangte, so hätte ich aus Mitgefühl fast Tränen
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