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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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von Leuten, die zu ihrer Zeit berühmt gewesen, Entwürfe, die der Scharfblick der Akademien der Vergessenheit und mir anheimfallen ließ. Was halten Sie«, fragte er und wandte sich ganz plötzlich einem Bilde zu, »was halten Sie von dieser Madonna della Pietà?«
    »Sie ist ein echter Guido«, sagte ich mit all der Begeisterung, deren ich fähig bin, denn ich hatte ihre unvergleichliche Lieblichkeit beseligt in mich aufgenommen. »Ein echter Guido! – Wie konnten Sie nur dazu kommen? Sie ist unbedingt das in der Malerei, was die Venus in der Skulptur ist.«
    »Oh«, sagte er gedankenvoll, »die Venus – die schöne Venus? Die Venus von Medici? – Die mit dem kleinen Kopf und dem goldenen Haar? Ein Teil des linken Armes (hier ließ er die Stimme sinken, so daß man ihn kaum verstand) und der ganze rechte sind spätere Ersatzstücke; und in der Koketterie jenes rechten Armes liegt, finde ich, die Quintessenz aller Ziererei. Gebt mir den Canova! Der Apollo – auch er ist eine Kopie – da kann kein Zweifel sein – blinder Narr, der ich bin, daß ich die viel gerühmte Offenbarung in dem Apollo nicht finden kann! Ich kann mir nicht helfen, ich muß dem Antonius den Vorzug geben. War es nicht Sokrates, der sagte, der Bildhauer habe sein Bildwerk schon im rohen Marmorblock er blickt? Dann wären also Michelangelos Zeilen keineswegs Original:
    Non ha l‘ottimo artista alcun concetto
    Che un marmo solo in se non circonscriva.«
    Es ist – oder sollte doch oft bemerkt worden sein, daß das Gebaren eines Edelmenschen sich von dem der anderen sehr unterscheidet, ohne daß man doch genau feststellen könnte, worin der Unterschied besteht. Konnte ich diese Beobachtung im weitesten Maße auf meines Freundes äußeres Benehmen anwenden, so auch, wie ich an diesem ereignisreichen Morgen spürte, auf seine geistigen Eigenschaften. Auch kann ich die besondere Geistesart, die ihn so wesentlich über alle anderen Menschen hinaushob, nur als eine Gewohnheit zu eingehender, immerwährender Betrachtung kennzeichnen, die sein alltägliches Tun durchdrang, seine tändelnden Stunden belebte und selbst die Minuten der Heiterkeit durchwob – gleich den Nattern, die sich aus den Augenhöhlen der grinsenden Masken am Kranzgesims der Tempel von Persepolis herauswinden.
    Ich konnte aber nicht umhin, aus der halb leichtfertigen, halb feierlichen Art, mit der er eigentlich unwichtige Dinge umständlich abhandelte, eine zitternde Angst, oder besser eine nervöse Inbrunst herauszufühlen – eine Erregtheit im Tun und Reden, die mir unerklärlich schien und mich mehrfach stark beunruhigte. Öfter hielt er auch mitten in einem Satze inne, dessen Anfang er anscheinend vergessen, und lauschte voll tiefer Andacht vor sich hin, so als erwarte er einen ersehnten Besuch, oder als horche er auf Klänge, die wohl allein in seiner Einbildung ertönen mußten.
    Während einer seiner derartigen Träumereien blätterte ich in Polizians, des Dichters und Gelehrten köstlicher Tragödie ›Orpheus‹ – der ersten echt italienischen Tragödie –, die neben mir auf einer Ottomane lag. Gegen Ende des dritten Aktes fand ich eine mit Bleistift unterstrichene Stelle; es war eine Stelle voll herzbewegender Gewalt – eine Stelle so voll tiefer Wollust, daß kein Mann sie lesen könnte ohne einen Schauer unerhörter Erregung, kein Weib ohne einen Seufzer. Die ganze Seite war mit frischen Tränen getränkt, und auf dem daneben eingehefteten Blatt standen in englischer Sprache und in einer Handschrift, in der ich nur mit einiger Mühe die charakteristische Schrift meines Freundes erkennen konnte, folgende Verse:
    Du warst für mich all dieses, Lieb,
    Was Seele füllt und Sein,
    Warst Inselgrün im Meere, Lieb,
    Springbrunn und Altarstein
    Voll Frucht- und Blumenwunder, Lieb,
    Und all das Blühn war mein!
    O Traum, dem Sterben kam!
    O Sternenhoffen, dessen Licht
    Sturmwolke mir benahm!
    Ein Rufen aus der Zukunft spricht:
    »Voran! Voran!« – Doch Gram
    Um das, was war, nimmt Zuversicht,
    Macht müd und flügellahm.
    Denn weh! des Lebens warmer Glanz
    Erstrahlt für mich nicht mehr!
    Die Woge raunt im Brandungstanz
    Zum Strand: nie mehr, nie mehr
    Wird wundgeschoßne Schwinge ganz,
    Dürr bleibt und blätterleer
    Der Baum, dem Blitz zerschlug den Kranz!
    Und Tag ist Traum, der zu dir wacht,
    Und Nacht ist Traum und leitet
    Hin, wo dein dunkles Auge lacht
    Und wo dein Fuß hinschreitet,
    Der in ätherischen Tänzen sacht –
    Auf welchen Sternen gleitet?
    O

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