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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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trug. Als er nun mit gefalteten Händen, tiefem Seufzern und Blicken innigster Frömmigkeit auf unseren Helden zuschritt, machte er einen unzweifelhaft fesselnden Eindruck. Auch der letzte Schatten von Ärger verschwand vom Antlitz unseres Metaphysikers, als er nach einer offenbar zufriedenstellenden Inspektion seinem Besucher die Hand schüttelte und ihm einen Sitz anbot. Es würde jedoch ein schwerer Irrtum sein, wollte man den plötzlichen Wechsel der Gefühle bei unserem Philosophen einem der Gründe zuschreiben, die man logischerweise als ausschlaggebend annehmen könnte. Aus allem, was uns über die Veranlagung Pierre Bon-Bons bekannt ist, geht klar hervor, daß gerade er unter allen Menschen am wenigsten dazu neigte, sich durch äußeren Schein imponieren zu lassen. Ein so scharfer Beobachter der Menschen und der Dinge mußte natürlich sofort das wahre Wesen desjenigen erkennen, der sich auf solche Weise das Gastrecht bei ihm angemaßt hatte. Noch mehr: die Fußbildung des Besuchers war auffallend genug; auf seinem Kopfe saß ein ungewöhnlich hoher Hut; an der Hinterseite seiner Kniehosen war eine bewegliche Beule bemerkbar, und die Schwingung seiner Rockschöße war eine handgreifliche Tatsache. Man beurteile also, mit welcher Befriedigung unser Held sich plötzlich in die Gesellschaft einer Persönlichkeit verseht sah, vor der er schon immer die höchste Achtung empfunden hatte. Er war jedoch zu sehr Diplomat, um sich eine Andeutung darüber entwischen zu lassen, daß er den wahren Stand der Dinge ahne. Es paßte nicht in seinen Plan, zu zeigen, daß er die hohe Ehre, deren er so unverhofft teilhaftig geworden war, empfinde; sondern er hielt es für vorteilhafter, seinen Gast in ein Gespräch zu verwickeln, um den einen oder andern Gedanken über Ethik aus ihm zu ziehen und diesen Gedanken in seiner beabsichtigten Veröffentlichung zu verwerten zur Aufklärung der Menschheit und zu Nutz und Frommen seiner eignen Unsterblichkeit. Wir müssen hinzufügen, daß das hohe Alter und die anerkannt hervorragende wissenschaftliche Stellung des Besuchers diesen wohl in den Stand setzten, moralische Gedanken von hohem Werte hervorzubringen.
    Diese glänzenden Zukunftsträume erweckten den Tätigkeitstrieb unseres Helden, er forderte den Ankömmling auf, sich niederziehen, und nahm die Gelegenheit wahr, einige Blöcke Holz auf die Flammen zu werfen, einige Flaschen Champagner auf den jetzt freigewordenen Tisch zu stellen. Als diese Vorbereitungen flink beendigt waren, rückte er seinen Stuhl dem seines Gefährten gegenüber und wartete, bis jener die Unterhaltung beginne. Aber Pläne schlagen häufig fehl, wenn sie auch noch so reiflich überlegt sind, oft sogar beim ersten Versuch, sie zur Ausführung zu bringen, und der Wirt befand sich bereits bei den ersten Worten seines Gastes in der Klemme. »Ich sehe, du kennst mich, Bon-Bon,« sagte er, »ha! ha! ha! – he! he! he! – hi! hi! hi! – ho! ho! ho! – hu! hu! hu!« – und der Teufel ließ auf einmal die Heiligkeitsmaske fallen, riß seinen Mund von Ohr zu Ohr auf, so weit ihm dies irgend möglich war, zeigte ein zackiges Gebiß mit großen, hauerartigen Zähnen, warf den Kopf zurück und lachte ein böses, lautes, wieherndes und dröhnendes Lachen, so daß der schwarze Hund sich aufrichtete und kräftig in den Chor mit einstimmte, während die getigerte Katze mit einem Sprunge in den äußersten Winkel des Raumes setzte und von dort aus ein klägliches Miauen hören ließ.
    Ganz anders war das Benehmen des Philosophen. Er war zu sehr Mann von Welt, um sich an den Gefühlsäußerungen des Hundes oder an den eine ungehörige Furcht verratenden Schreien der Katze zu beteiligen. Es darf immerhin nicht verschwiegen werden, daß Bon-Bon ein Gefühl des Erstaunens nicht ganz unterdrücken konnte, als er die weißen Buchstaben, die auf dem in der Tasche des Gastes steckenden Buche die Worte » Rituel Catholique « bildeten, plötzlich ihren Sinn und ihre Farbe verändern sah, so daß anstelle des ursprünglichen Titels mit einem Schlage die Worte » Registre des Condamnés « ihm in roten Lettern entgegenfunkelten. Diesem aufregendenUmstand ist es wohl zuzuschreiben, daß die Antwort auf die Bemerkung des Gastes in einem sonst bei Bon-Bon nie gehörten Tone von Verlegenheit gegeben wurde.
    »O, mein Herr,« sagte der Philosoph, »o, mein Herr, ehrlich gesagt, glaube ich, Sie sind – auf mein Ehrenwort – der Leibh ... selbst – das heißt, ich glaube – ich

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