Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
worden. Aber seinerinneren Aufregung diesen seltsamen Wechselfällen gegenüber war bis zu einem gewissen Grade jene nervöse Beklemmung beigemischt, die durch die Wildheit einer stürmischen Nacht so leicht ausgelöst wird. Er pfiff den großen schwarzen Hund zu sich her, damit er ihn in seiner unmittelbaren Nähe habe, warf sich mit dem Gefühl des Unbehagens in seinen Stuhl und konnte sich nicht enthalten, seine Augen vorsichtig und unruhig in jene entfernteren Winkel des Raumes wandern zu lassen, deren schwer durchdringliche Schatten nicht einmal durch das rote Licht des Feuers völlig verdrängt werden konnten. Nachdem er diese Durchforschung des Raumes, deren eigentlicher Zweck ihm selbst vielleicht nicht ganz klar war, beendigt hatte, zog er einen kleinen, mit Büchern und Papieren bedeckten Tisch zu sich heran und war bald in die letzte Durchsicht eines dicken Manuskripts vertieft, das am nächsten Morgen veröffentlicht werden sollte.
Diese Beschäftigung dauerte kaum einige Minuten, als eine weinerliche Stimme plötzlich durch den Raum flüsterte: »Mir eilt es ganz und gar nicht, Herr Bon-Bon.«
»Zum Teufel!« stieß unser Held hervor, indem er aufsprang, den Tisch an seiner Seite umstieß und erstaunt im Zimmer umherstarrte.
»Stimmt genau.« antwortete die Stimme in größter Ruhe.
»Stimmt genau! – was stimmt genau? Wie kamen Sie hier herein?« schrie der Metaphysiker, als sein Blick auf ein gewisses Etwas fiel, das lang ausgestreckt auf dem Bette lag.
»Ich habe gesagt,« sprach der Eindringling, ohne auf die Fragen zu achten, »ich habe gesagt, daß ich es ganz und gar nicht eilig habe. Das Geschäft, um derentwillenich mir die Freiheit genommen habe, vorzusprechen, ist nicht von so großer Dringlichkeit – kurz, ich kann sehr wohl warten, bis Sie Ihre Darlegungen dort vollendet haben.«
»Meine Darlegungen! – nun aber! – wieso wissenSiedenn? Wie kamenSiedazu, zu wissen, daß ich Darlegungen schreibe? Gütiger Himmel?«
»Pst!« antwortete der andere, mit merkwürdig schriller Stimme, sprang vom Bette auf und machte einen einzigen Schritt auf unseren Helden zu. Eine eiserne Lampe, die von oben herabhing, zuckte bei seiner Annäherung zurück.
Die Überraschung des Philosophen hinderte ihn nicht, Erscheinung und Kleidung des Fremden genau zu mustern. Die Umrisse der äußerst dürren, aber übermenschlich hohen Gestalt wurden deutlich hervorgehoben durch einen schäbigen Anzug aus schwarzem Tuch, der, abgesehen davon, daß er dem Körper ganz eng anlag, ziemlich nach der Mode des verflossenen Jahrhunderts geschnitten war. Diese Kleidung war offenbar für eine viel kleinere Gestalt als die des nunmehrigen Besitzers bestimmt gewesen. Seine Fuß-und Handknöchel ragten ein paar Zoll weit aus der Bekleidung hervor. Die glänzenden Schnallen seiner Schuhe straften jedoch den Eindruck Lügen, der durch die Armseligkeit seines übrigen Äußeren hervorgerufen wurde. Sein Kopf war unbedeckt und vollständig kahl, mit Ausnahme des hinteren Teiles, von dem ein Zopf in respektabler Länge herabhing. Eine grüne Brille mit Seitengläsern schützte seine Augen vor der Einwirkung des Lichtes und hinderte zugleich Bon-Bon daran, die Farbe oder die Form derselben festzustellen. An der Persönlichkeit war nichts die Spur von einem Hemd zu erblicken, hingegen schlang sich um seinem Hals eine mitaußerordentlicher Genauigkeit gewundene Krawatte, deren beide Enden feierlich dicht nebeneinander herabhingen und so (meiner Überzeugung nach allerdings unabsichtlich) den Eindruck erweckten, man habe einen Geistlichen vor sich. Sowohl in seinem Benehmen als auch in seiner Erscheinung zeigte sich außerdem noch manches, was diesen Eindruck bestätigen konnte. Hinter seinem linken Ohre steckte nach Art und Gewohnheit moderner Schreiber ein Ding, das dem Stylus der Alten ähnlich war. Aus einer Brusttasche seines Rockes lugte deutlich ein kleiner, schwarzer, mit stählernen Klammern zusammengehaltener Band hervor. Ob aus Absicht oder nicht, jedenfalls war dieses Buch auf eine Weise in die Tasche gesteckt, daß die in weißen Buchstaben auf den Rücken aufgedruckten Worte » Rituel Catholique « sichtbar wurden. Sein Gesicht flößte durch einen seltsam finsteren Ausdruck und eine leichenhafte Blässe Interesse ein. Die hohe Stirn war von tiefen Falten gefurcht, die auf andauerndes Nachdenken schließen ließen. Die Mundwinkel waren herabgezogen, so daß der Mund einen Ausdruck unterwürfigster Demut zur Schau
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