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Edith Wharton

Edith Wharton

Titel: Edith Wharton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommer
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die
Tischkante, damit der junge Harney ihre Schwäche nicht bemerkte. Was er sah,
schien ihn sehr zu berühren, denn er wurde rot unter seiner Sonnenbräune und
stammelte: »Aber Miss Royall, ich versichere Ihnen ... Ich versichere Ihnen ...«
    Seine qualvolle Verlegenheit gab
ihrem Zorn neue Nahrung, sie fand ihre Stimme wieder und schleuderte ihm
entgegen: »Ich an Ihrer Stelle hätte wenigstens den Mut, zu dem zu stehen, was
ich gesagt habe!«
    Diese höhnische Bemerkung schien ihm
seine Geistesgegenwart zurückzugeben. »Ich hoffe, daß ich das täte, wenn ich
wüßte, was ich gesagt haben soll; aber ich weiß es nicht. Offensichtlich ist
etwas Unangenehmes vorgefallen, und Sie glauben, ich sei Schuld daran. Ich
habe aber keine Ahnung, worum es geht, denn ich war schon vom frühen Morgen an
auf dem Eagle Ridge.«
    »Ich weiß nicht, wo Sie heute morgen
gewesen sind, aber ich weiß, Sie waren gestern hier in dieser Bibliothek; und
Sie waren derjenige, der nach Hause ging und seiner Cousine erzählte, die
Bücher seien in schlechtem Zustand, und der sie hierhergebracht hat, damit sie
sieht, wie ich sie vernachlässigt habe.«
    Der junge Harney schien aufrichtig
betroffen. »Das hat man Ihnen erzählt? Dann wundert es mich nicht, daß
Sie aufgebracht sind. Die Bücher sind in schlechtem Zustand, und da
einige interessant sind, ist es schade. Ich sagte Miss Hatchard, daß die Bücher
unter der Feuchtigkeit und der schlechten Belüftung leiden; und ich habe sie
hergebracht, um ihr zu zeigen, wie leicht man die Bibliothek belüften könnte.
Ich sagte ihr auch, daß Sie jemanden brauchten, der Ihnen beim Abstauben und
Lüften hilft. Wenn man Ihnen das, was ich gesagt habe, falsch wiedergegeben
hat, tut es mir leid; aber ich habe alte Bücher so gern, daß ich sie lieber in
Flammen aufgehen sähe, als daß sie so wie hier vor sich hin schimmeln.«
    Charity spürte, wie ihr das
Schluchzen die Kehle hochstieg, und versuchte, es mit Reden zu ersticken. »Es
ist mir egal, was Sie ihr angeblich erzählt haben. Ich weiß nur, daß sie denkt,
es ist alles meine Schuld, und daß ich meine Stelle verlieren werde, und ich
brauche sie mehr als sonst jemand im Dorf, weil ich niemand hab', der zu mir
gehört, wie das bei anderen Leuten ist. Ich wollte nichts weiter, als genügend
Geld beiseite legen, um irgendwann von hier wegzugehen. Glauben Sie, ich hätte
sonst Tag für Tag in dieser alten Gruft gesessen?«
    Von dieser Rede griff ihr Zuhörer
nur den letzten Satz auf. »Es ist eine alte Gruft; aber muß das sein?
Das ist der springende Punkt. Und daß ich meiner Cousine diese Frage gestellt
habe, ist anscheinend die Ursache für die ganze Aufregung.« Sein Blick
durchforschte das melancholische Halbdunkel des langen
schmalen Raums, blieb an den fleckigen Wänden, den vergilbten Bücherreihen und
dem schmucklosen Rosenholztisch hängen, den das Porträt des jungen Honorius
krönte. »Natürlich ist es schwierig, irgend etwas mit einem Gebäude zu beginnen,
das so an einen Berg gequetscht ist wie dieses lächerliche Mausoleum: man
könnte es nicht ordentlich durchlüften, ohne ein Loch in den Berg zu sprengen.
Aber es kann trotzdem einigermaßen gelüftet werden, und man kann sogar die
Sonne hereinlassen: ich zeige Ihnen wie, wenn Sie wollen ...« Die Leidenschaft
des Architekten für Verbesserungen hatte ihn bereits ihren Groll vergessen
lassen, und er hob seinen Stock belehrend zum Sims. Doch ihr Schweigen schien
ihm zu sagen, daß sie sich für die Belüftung der Bibliothek nicht
interessiere, und sich unvermittelt zu ihr umwendend streckte er ihr beide
Hände hin. »Hören Sie – Sie meinen das nicht, was Sie da gesagt haben? Sie meinen
doch nicht im Ernst, daß ich irgend etwas täte, was Ihnen wehtun könnte?«
    In seiner Stimme klang ein neuer Ton
an, der sie entwaffnete: noch nie hatte jemand in diesem Ton mit ihr
gesprochen.
    »Oh, warum haben Sie's dann bloß
getan?« rief sie aus. Er hielt ihre Hände in den seinen, und sie spürte die
sanfte Berührung, die sie sich am Tag zuvor auf dem Hügel erträumt hatte.
    Er drückte ihre Hände leicht, dann
ließ er sie los. »Nun, damit Sie es hier gemütlicher haben; und die Bücher
besser. Es tut mir leid, wenn meine Cousine ver dreht hat, was ich gesagt
habe. Sie regt sich leicht auf, und Kleinigkeiten bedeuten ihr viel: daran
hätte ich denken müssen. Bestrafen Sie mich nicht, indem Sie sie glauben
machen, Sie nähmen sie ernst.«
    Es war verblüffend, ihn über

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