EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
wachsender Gefährdung – ökonomisch, ökologisch, sozial – und damit einhergehender wachsender Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit. Wir gehen in eine gefährdete Welt vielfältiger Möglichkeiten, die sich von allem, was wir bisher kannten, radikal unterscheidet. Der auf Verwertungsmöglichkeiten ausgerichtete Blick auf die Menschen und den Planeten hat uns in den Zustand der Instabilitäten geführt. Der bisher praktizierte Weg einer sich immer weiter verschärfenden Konkurrenz auf allen Ebenen erweist sich zunehmend als nicht zukunftsverträglich. Unverzichtbar sind vielmehr Kreativität, Verantwortung, Individualität und Gemeinsinn, um die gemeinsamen Lebensgrundlagen und das friedliche Zusammenleben zu sichern. Angesichts von Globalisierung (Veränderung der Arbeitswelt, der Ökonomie und des gesamten darauf aufbauenden sozialen Systems), Individualisierung (Schwinden von Autorität und tradierter Steuerung), dem Rückbau sozialstaatlicher Daseinsvorsorge und der medialen Vernetzung wird die verantwortliche Handlungskompetenz und Selbstwirksamkeit der Individuen immer mehr zur unverzichtbaren Notwendigkeit. Die aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft ist vordringlicher denn je. Dies will gelernt sein.
Die Zukunft, in die Kinder und Jugendliche hineinwachsen, zeichnet sich durch die Unwägbarkeiten und Turbulenzen in der Folge der sich verstärkenden Krisen der Ökonomie, der Ökologie und der Politik aus. Sicherheiten in Form von bewährten Bildungs karrieren relativieren sich angesichts der Dynamiken des 21. Jahrhunderts. Die Dienstleistungsgesellschaft stirbt. Wir befinden uns in einer rasanten technologischen Entwicklung, die, wie Gunter Dueck, Autor des Buches Professionelle Intelligenz , darlegt, die Hälfte der Jobs überflüssig machen wird. Den westlichen Gesellschaften drohen die entgegengesetzten Extreme Elite und Slum. Unsere einzige Alternative dazu ist, den Aufbruch in die Exzellenzkultur zu wagen. Dazu brauchen wir ein komplexeres Verständnis von Potenzial, von Wissen und von Lernen.
Der eiserne Vorhang unseres heutigen Zeitalters, glaube ich, ist das Gefängnis unserer kollektiven Verhaltensmuster in Institutionen. Wir sitzen so fest wie nie zuvor im Griff unserer Vergangenheit, unserer alten Muster. … Presencing heißt: die Wahrnehmung aus dem Gefängnis der Vergangenheit zu befreien und sie aus der Zukunft operieren zu lassen. … Presencing ist immer dann relevant, wenn die vergangenheitsgetriebene Realität Sie nicht mehr weiterbringt und Sie das Gefühl haben, ganz neu ansetzen zu müssen. [2]
Dr. Claus Otto Scharmer, Bildungsinnovator, Dozent und Mitbegründer des MIT Leadership Lab am Massachusetts Institute of Technology
Das 21. Jahrhundert mit seiner Komplexität verlangt ein radikales Um denken, um Lösungen für die globalen Herausforderungen entwickeln zu können. Mit tradierten Mustern und Konformitätsdenken lassen sich die Herausforderungen nicht bewältigen. Visionsbewusstheit, Vorstellungskraft, vernetztes Denken, Innovationsgeist und Handlungsmut sind gefragt, um neue Modelle des Zukünftigen zu entwerfen. Auch unsere Bildungssysteme stehen zur Disposition. Bisher wird dort das Augenmerk kaum auf die Exzellenz jedes Menschen gerichtet – stattdessen herrschen Defizitgeist, Normierung und Standardisierung vor.
Schulen in Deutschland konzentrieren sich vor allem auf Wissensvermittlung, homogene Gruppen und die Förderung einseitig kognitiver Fähigkeiten. Die traditionellen Funktionen des gegenwärtigen Bildungssystems werden beschrieben mit den Stichworten Qualifikation, Selektion, Legitimation. Die Menschen werden von Anfang an und immerzu einem vorgegebenen Selektionssystem, das sich immerzu selbst zu legitimieren versucht, angepasst. Doch eine solche Bildung ist ausgerichtet auf arbeitsteilige Effizienzstrukturen in Wirtschaft und Gesellschaft, die den Vorgaben einer Industriegesellschaft entsprechen, welche im Verschwinden begriffen ist. Ihre Anschlussfähigkeit an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist nicht mehr gegeben.
Warum kleben wir an diesen alten Mustern, warum geben wir uns mit »mehr vom Gleichen« zufrieden? Fehlt es an Vorstellungskraft, Visionen und Mut? Auch Dr. Claus Otto Scharmer sieht die Notwendigkeit zur Veränderung: »Es ›kracht‹ in allen gesellschaftlichen Bereichen«, stellte er bereits 2002 auf den Trigon Studien tagen fest. »Alle wollen die Veränderung. Aber realisieren im Sinne von institutionellem Wandel – können wir
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