Edvard - Mein Leben, meine Geheimnisse
einen Moment geglaubt, sie würde mich ganz nett finden, weil ich mir eingebildet hatte, sie wäre eifersüchtig auf Karli. Aber klar, niemand wäre auf Karli eifersüchtig, weil sie wie ein Junge aussieht und sich auch die meiste Zeit so verhält.
Und Henk, der scheint was auszubrüten. Er postet nichts mehr auf Facebook, er geht mir in der Schule aus dem Weg, überhaupt ist es um ihn herum so wahnsinnig still geworden, dass ich echt misstrauisch bin …
Und meine Zukunft als Astrophysiker kann ich abschreiben. Was soll ich denn machen, ohne Tannenbaum? Ich kapiere die Sachen echt nur, wenn er sie mir erklärt. Das haben zwanzigtausend Lehrer vor ihm nicht geschafft.
Und die Jason-Gedenkseite hat jetzt siebzigtausend Fans.
Wenn rauskommt, dass ich dahinterstecke, bin ich am Arsch.
Ich will nicht mehr leben. Ich meine, wozu noch?
Sonntag, 18.9., 12:27 Uhr
Oh, Arthur mailt gerade, in zwei Wochen ist eine Star Trek Convention in der Stadt, er hat schon mal Karten für uns alle besorgt. Sogar eine für Piesel. Er bekommt die Karten umsonst, weil sein Vater das Catering da macht.
Sonntag, 18.9., 16:35 Uhr
Meine Eltern haben sich total aufgeregt, als ich von Tannenbaum erzählt habe.
»Und da ist wirklich nichts mehr zu machen?«, fragt Papa. »Er hat schon alle Rechtsmittel ausgeschöpft?«
»Äh, also, er hat schon mit einem Anwalt gesprochen, wenn du das meinst«, sage ich.
»Die können doch alle nix«, sagt Mama.
»Lass dir dein Buch von ihm signieren, bevor er umzieht«, sagt Papa. »Wann hat man mal eine solche Gelegenheit.«
»Die Frau will ihn doch nicht wegen Eigenbedarf da raushaben«, sagt Mama. »Die will bestimmt ein Mehrfamilienhaus draus machen, damit sie mehr Miete kassieren kann. Oder sie will es abreißen und einen architektonisch voll durchgeplanten Mehrfamilienschuppen hinstellen, so mit Tiefgaragenplätzen und Pool im Garten. Groß genug ist der Garten ja. Um was wetten wir?«
»Wo soll denn der Herr Tannenbaum jetzt hin?«, sage ich. »Er hat doch so viele Möbel und Bücher und das alles, und er sagt, er will nichts davon wegwerfen, weil es ihn erinnert. Oder so ähnlich.«
»Man kann ganz günstig einlagern«, sagt Papa. »Self-Storage ist mittlerweile eine Riesensache. Machen alle, die keinen Keller haben. Oder nicht genug Platz im Keller.«
»An seiner Stelle würde ich in dem Haus bleiben«, sagt Mama.
»Das geht doch nicht«, sage ich. »Hast du mir nicht zugehört? Sie wirft ihn raus.«
»Ach, das soll sie erst mal versuchen.«
»Sie hat ihm doch gekündigt!«, sage ich.
»Und wenn er nicht auszieht?«, sagt Mama.
»Keine Ahnung. Dann holt sie die Polizei?«
»Und was sollen die machen, ihn raustragen?«
Ich zucke die Schultern. »Ja, oder?«
»Soll er halt die Tür nicht aufmachen. Dann geht die Sache vor Gericht, das zieht sich monatelang hin, und wer weiß, was bis dahin ist.«
Ich wundere mich mal wieder über meine Mutter. »Meinst du nicht, dass sie einfach die Tür eintreten und das alles?«
»Edvard, weißt du, bei wie vielen Hausbesetzungen dein Vater und ich dabei waren, als wir noch studiert haben? Bis da irgendjemand die Tür eintritt und alle rausträgt, das kann dauern.«
»Ihr habt Häuser besetzt?« Immer wieder für Überraschungen gut, die beiden.
»Deine Mutter hat ganz großartige Plakate gestaltet«, sagt Papa. »Mit griffigen Sprüchen, warum wir ein Haus besetzt haben.«
»Und warum habt ihr Häuser besetzt?«, frage ich. In meinem Kopf rattert es natürlich längst.
»Die Besitzer wollten die alten Gebäude luxusrenovieren, damit sie mehr Miete bekommen, und die Leute, die drin wohnten, hätten sich danach die eigene Wohnung nicht mehr leisten können. Oder die Häuser sollten abgerissen und durch etwas Größeres ersetzt werden. Es geht nur ums Geld.« Mama stemmt die Hände in die Hüften. Ein Zeichen dafür, dass gleich ein Vortrag kommt. Ein langer. Papa und ich machen es uns dann normalerweise gemütlich und stellen auf Durchzug. Nur, ich stelle diesmal nicht auf Durchzug. Ausnahmsweise höre ich ganz genau zu. Und dann beschließe ich, meine Computerzeit heimlich zu überziehen, weil ich mich mal so im Detail über Hausbesetzungen informieren muss.
Sonntag, 18.9., 21:23 Uhr
Meine Eltern werden das Bettlaken bestimmt nicht vermissen, so viele, wie wir haben. Ich habe Piesel angerufen. Er soll mir eine von den Sprühflaschen vorbeibringt, mit denen sein Bruder immer so Zeugs wie »Lehrer raus – die Schule gehört uns!« auf den
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