Edvard - Mein Leben, meine Geheimnisse
hin.«
»Moderne Kunst, vielleicht. Du könntest Farbbeutel auf eine Leinwand werfen«, schlägt Karli vor.
»Ich würde daneben werfen. Und warum heißt du Karl, äh, Karla?«
»Wegen meinem Opa«, sagt sie nur. »Hast du einen zweiten Vornamen?«
»Und einen dritten.«
»Sag.«
»Nee, is mir peinlich.«
»Meiner ist Brunhild.«
»Hör auf!«
»Meine Oma hieß Brunhild.«
»Die Frau von Karl?«
»Nein, die andere Oma. Und jetzt sag.«
»Okay. Vollständig und komplett heiße ich Edvard Gregory Walter de Vigny.«
»Da hattest du in der Grundschule aber eine Menge zum Buchstabieren«, sagt Karli. »Und wieso Gregory?«
»Gregory Walter Graffin. So heißt der Sänger von Bad Religion, der nennt sich aber Greg.«
»Und deshalb will deine Mutter, dass du ein bisschen mit Piesel abhängst, damit der Punk in dir zum Vorschein kommt, wo du schon nicht malen und musizieren kannst?«
Ich zucke die Schultern. »Eltern halt.«
»Vielleicht wollten sie auch, dass du Evolutionsbiologe wirst«, kommt eine Stimme aus der Hecke, und wir erschrecken beide ganz furchtbar. Pudel kommt mit seinem Stöckchen endlich aus dem Strauch und wedelt mit dem Schwanz die Hecke an.
»Herr Tannenbaum?«, frage ich unsicher.
»Ist Pudel bei euch?«, fragt mich die Hecke.
»Wir schicken ihn rüber«, sage ich und schnappe mir Pudels Halsband. »Warum eigentlich Evolutionsbiologe?«, frage ich, während ich mit Karli versuche, den Hund durch das Loch in der Hecke zu schieben.
»Der Sänger von Bad Religion. Hat einen Doktor in Evolutionsbiologie. Wusstest du das nicht? Aber ich rede auch Unsinn. Er hat seinen Doktor erst gemacht, als du schon längst auf der Welt warst.«
»Quatsch, der ist doch Sänger von einer Punkband!«
»Ja.«
Karli biegt sich vor Lachen. »Bist du wenigstens in Bio gut?«
Ich schüttle den Kopf. »Keine Chance.«
»Und was interessiert dich? Bis jetzt weiß ich nur, was auf der Abschussliste steht.«
Ich überlege, ob ich es ihr sagen soll, aber ich trau mich nicht, weil der alte Tannenbaum zuhört. »Woher wissen Sie das mit dem Evolutionsbiologen?«, frage ich ihn.
»Ach, ich kenne ihn noch von früher«, sagt Tannenbaum. Und da kann ich nicht anders, da muss ich natürlich weiter nachfragen. Wir enden schließlich in seinem Wohnzimmer mit den vielen alten Möbeln, und er erzählt uns davon, dass er in Harvard unterrichtet hat, und dass er Greg Graffin zufällig mal kennengelernt hat, damals in den Neunzigern. Die beiden mailen sich ab und zu! Und ich muss feststellen, dass Tannenbaum genau derTannenbaum ist, der mein Lieblingsbuch geschrieben hat. Mein Nachbar hat »Sterne« geschrieben!
Karli fragt irgendwann wieder nach meinen Lieblingsfächern, und auch der alte Tannenbaum bohrt und bohrt. Sie nerven mich so lange, bis ich endlich sage: »Okay, damit ich endlich Ruhe habe: Physik. Eigentlich Astrophysik. Ich will später mal in einer Sternwarte arbeiten. Ich will Weiße Zwerge entdecken, Rote Riesen und Schwarze Löcher berechnen, ich will, dass ein Komet nach mir benannt wird, aber ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird, weil ich nämlich keinen blassen Schimmer von dem habe, was sie uns in der Schule versuchen beizubringen. Also werde ich nach dem Abi, falls ich es überhaupt schaffe, irgendeinen langweiligen Mist studieren oder eine langweilige Ausbildung machen und mich den Rest meines Lebens zu Tode langweilen. Und Mädchen wie Constanze werden sich noch weniger für mich interessieren, falls das überhaupt noch möglich ist.«
Karli und Herr Tannenbaum schauen mich mit großen Augen an.
»Soll ich dir helfen?«, fragt Tannenbaum schließlich. »Ich kann dir Nachhilfe geben.«
»Ich bin ein hoffnungsloser Fall«, sage ich.
»Ich kann dir auch Nachhilfe geben«, sagt Karli.
»Du kannst Physik?«
»Nee, aber … das andere. Wegen Constanze.«
Ich muss ein bisschen grinsen. »Danke«, sage ich in die Runde.
Donnerstag, 8.9., 18:32 Uhr
Herr Tannenbaum hilft mir bei Physik, Mathe, Chemie und sogar Bio. Wenn ich das mal früher gewusst hätte! Macht sogar fast Spaß. Jedenfalls erklärt er alles viel besser als die Lehrer in der Schule. Ich habe zum Beispiel gelernt, wie Komposttoiletten funktionieren und warum sie eine tolle Sache sind.
Mama gleich so: »Siehst du, Edvard, wir haben dir immer gesagt, du bist nicht zu dumm, du hast einfach nur nicht den richtigen Ansatz gefunden.«
»Und warum ist keiner von euch mal auf die Idee gekommen, dass ich Nachhilfe nehmen könnte?«,
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