Egeland, Tom
Theken bestehen aus Glas oder Spiegeln. Wohin ich mich drehe, sehe ich mein verwirrtes Ich.
Während ich ihr von dem Fund des goldenen Schreins erzähle, von meinen verwirrenden Erlebnissen in Oslo, vo n G rethes vagen Andeutungen und meinem Auftrag in London, genieße ich ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit. Ich fühle mich wie ein Abenteurer mit einem spannenden Auftrag. Und ich glaube, auch Diane sieht mich so.
Als wir zurück zur SIS gehen, um den Ausdruck zu holen, den wir vergessen haben, fragt mich Diane, was ich am Abend vorhabe. Die Frage lässt eine Splitterbombe von Erwartungen in meinem Kopf platzen. Ich springe zur Seite, um nicht auf eine träge Stadttaube zu treten, und sage, ich hätte noch keine speziellen Pläne. Es gibt keinen Grund, so hoffnungslos zu sein. Vier Schritte später fragt sie, ob sie mir die Stadt zeigen soll. Ich werde zu gleichen Teilen von Panik und Glückseligkeit erfüllt. » Das hört sich gut an «, sage ich.
Ich warte vor dem SIS-Gebäude, während Diane hineingeht und die Ausdrucke über Michael MacMullin holt. Es dauert eine gewisse Zeit. Als sie schließlich kommt und mir den Stapel Papiere gibt, verdreht sie stöhnend die Augen und lacht angestrengt. » Tut mir Leid, dass das so lange gedauert hat! « Es sieht aus, als wolle sie mir einen flüchtigen Kuss geben. Zögernd, beinahe fragend sagt sie: » Das mit heute Abend … war vielleicht keine so gute Idee …? « Die Frage verhallt im Nichts. Sie begegnet meinem Blick. » Ach Unsinn! «, platzt sie plötzlich heraus. » King ’ s Arms Pub! Halb acht! « Ich habe meinen Mund noch immer nicht geöffnet. Sie holt Luft, um etwas zu sagen, hält dann aber inne. Ein Motorrad fährt an uns vorbei. » Ich habe eine Freundin in der Bibliothek des British Museum «, sagt sie schließlich. » Soll ich sie anrufen? Vielleicht kann sie Ihnen helfen? «
» Super «, antworte ich. Und warte auf den Kuss, der niemals kommt. Es gelingt mir nicht, ihren Blick zu lesen. Er beinhaltet etwas Unausgesprochenes.
» Dann sehen wir uns heute Abend «, sagt sie, lächelt und verschwindet.
In einem Geschäft mit endlosen CD-Regalen kaufe ich einen Sampler für Roger, Satans Children: Death Metal Galore. Auf der Vorderseite prangt ein Teufel, der E-Gitarre spielt. Schwefelflammen lecken an seinen Beinen empor. Eine nette Kleinigkeit, die Roger zu schätzen wissen wird.
11
AUCH ICH HABE MEINE schlechten Angewohnheiten. Wenn man den Wettlauf zwischen Hoden und Eiern gewonnen und die Kindheit überstanden hat, ohne von einem Besoffenen über den Haufen gefahren worden zu sein; wenn man durch die Jugend geschlurft ist, ohne in einem Treppenhaus mit bläulichem Licht an einer Überdosis für immer eingeschlafen zu sein; wenn man sechs Jahre in Blindem überstanden und es überdies geschafft hat, sich einen Job im Öffentlichen Dienst zu sichern; wenn man nicht an akutem Nierenversagen oder einem Gehirntumor leidet, dann muss es einem verdammt noch mal erlaubt sein, die Zahnpastatube in der Mitte zusammenzudrücken und den Klodeckel nach dem Pinkeln offen stehen zu lassen. Schlechte Angewohnheiten sind ein Menschenrecht. Ich bin froh, nicht verheiratet zu sein.
Ich mag es, die Zahnpastatube am äußersten Rand des Waschbeckens liegen zu lassen. Dann weiß ich, wo sie ist. Okay, das macht man nicht so. Das ist nicht rational. Das ist mir scheißegal!
Jetzt liegt die Zahnbürste auf den Fliesen am Boden.
Das ist nicht schlimm. Es kann das Zimmermädchen gewesen sein. Oder Zugluft. Es kann Heinrich VIII. gewesen sein, der in einer Wolke aus Dampf und Schwefel wieder auferstanden ist.
Ich hebe sie auf und lege sie auf den äußersten Rand des Waschbeckens zurück, sodass das Zimmermädchen sie voller Genugtuung zurück in den Plastikbecher an der Spiegelhalterung stecken kann.
Als ich klein war, waren es nicht die Geschichten von kannibalischen Hexen oder blutrünstigen Trollen, die mir die meiste Angst einjagten. Es war das Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen.
Als einer der Zwerge brummte: » Jemand hat in meinem Bettchen geschlafen «, fiel ich in ein bodenloses Loch aus Angst. Ich glaube, das war auf meinen übersteigerten Respekt vor der Unantastbarkeit des eigenen Heims zurückzuführen.
Der Reißverschluss meiner Kulturtasche ist geschlossen. Ich lasse ihn immer offen stehen, damit ich blitzschnell das Päckchen Kondome erreichen kann (mikrofein, ohne Gleitmittel), wenn ich mitten in der Nacht mit meinem Harem von
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