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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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als das Experiment totaler Planung noch nicht gescheitert war.
    Die neue Zeit hat daraus zunehmend ein statistisches Monstrum gemacht, in dem, was »wahr« ist, nicht mehr über individuelle Inhalte, Lebensläufe, Erfahrungen entschieden wird, sondern über statistische Muster, die rein ökonomisch interpretiert werden.
    Auch die Algorithmen von Cataphora tun nichts anderes, als aus einer hochkomplexen statistischen Korrelation Aussagen über die Seelenökonomie des Charakters zu treffen. Und George Dyson glaubt, dass der mächtigste Motor der wirklichen Welt, der Markt, jetzt zum mächtigsten Motor unseres Denkens selbst wird:
    »Welcher Algorithmus ist der mächtigste, der gerade auf der Erde freigesetzt wurde? Ursprünglich war es der Monte-Carlo-Code, um Neutronen zu berechnen. Jetzt ist es wahrscheinlich Adwords … die statistische Erfassung des gesamten Suchmaschinenraums, das diesen Raum zugleich monetarisiert – eine brillante Arbeit.«
    Und damit taucht am Horizont, über dem in den leuchtenden Farben der Unvermeidlichkeit das neue Gestirn von »Big Data« aufgeht, die letzte Metapher auf, mit der Nummer 2 im Begriff ist, den Automaten und seine eigene Rolle darin neu zu definieren: als System der sozialen Insekten.
    Die neuen Multi-Agenten-Systeme haben gelernt. Sie geben kein einziges ihrer egoistischen Gene auf, aber sie verschmelzen die Systeme selbst mit der Biologie. J. Doyne Farmer, dessen legendäre Prediction Company, die erste prognostische Softwareschmiede überhaupt, von UBS gekauft wurde, glaubt, dass die Krise uns zu Konsequenzen auch in den ökonomischen Modellen zwingt.
    »Er und andere«, schreibt die »New York Times«, »haben damit begonnen, sogenannte Agenten-basierte Modelle der Öko nomie zu entwickeln, die danach fragen, wie ein zufällig erscheinendes Verhalten einzelner Ameisen Bauten mit Ziel, Form und Intelligenz erschaffen kann.«
    Die Ameisenforscherin Deborah M.Gordon beschreibt derweil unter dem Titel »Twitter im Ameisenhügel«, dass Ameisen, anders als viele glauben, mit ihren Antennen keineswegs »Informationen« übertragen, wie es Francisco Salvá als Erster mit seinen Froschbeinen versuchte. 254 Alles, was sie tun, ist, dass sie statistisch aus der Interaktion und dem Geruch anderer Ameisen algorithmische Schlussfolgerungen ziehen – gewissermaßen Nachrichten auswerten, deren Inhalt weniger wichtig ist als ihre statistische Verteilung. Es ist ungefähr das, was sich in modernen Mediengesellschaften durch die Ökonomie der von Adwords verteilten Klicks manifestiert.
    Zeit, an den Ausweg zu denken. Nach Lage der Dinge kann er nur darin bestehen, die Ökonomisierung unseres Lebens von einem mittlerweile fest in die Systeme verdrahteten Mechanismus des egoistischen und unaufrichtigen Menschenbildes zu trennen. Der »lernende Geist« ist etwas anderes als die aus Marktvorgängen lernende Maschine. »Ein Kind, das sprechen lernt«, schreibt Hugh Kenner mit Blick auf Turings Erziehungsmetapher, »ist eine höchst geheimnisvolle Vorrichtung, die als Input ›ziemlich unzusammenhängende und unzugängliche Daten‹ eingespeist bekommt und als Output ein erstaunlich einheitliches Ergebnis liefert, das den Input an Quantität und sehr oft auch an Qualität übertrifft (waren Shakespeares Lehrer sprachgewandter als der Dichter?).«
    Vielleicht ist es ganz einfach: nicht mitspielen. Jedenfalls nicht nach den Regeln, die Nummer 2 uns aufzwingt. Es ist eine Entscheidung, die nur der Einzelne treffen kann – und die Politik. Die Chancen in Deutschland stehen gut, weil es die Realwirtschaft ist, die immer noch der Motor seines Wohlstands ist. Fast scheint es, als ob das Land, das der Geburtsort des Idealismus war, nun mit einem neuen Realismus ein Gegengewicht bilden könnte zu der »Ökonomie des Geistes«.
    Die Antworten sind im ersten Schritt sehr pragmatisch: Sie reichen zum Beispiel vom Aufbau europäischer Suchmaschinen über eine Neudefinition und Umbenennung von »Datenschutz« bis zu Fragen hinsichtlich Eingriffen in das Erbgut des Menschen.
    Dazu wäre die Erkenntnis von Politikern und Nichtökonomen nötig, dass »Märkte«, vor allem »Finanzmärkte«, in den Worten von Karin Knorr-Cetina, etwas völlig anderes geworden sind, als sie es in der Vergangenheit waren, und keinesfalls mehr als Informationsmaschinen eine »Wahrheit« beanspruchen können. Denn Information selbst ist jenseits des schieren Signals in unserer Welt womöglich nie wieder das, wofür wir sie

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