Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
wird man in Geschichtsbüchern feststellen, dass im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ein Wettlauf stattfand zwischen denen, die die neuen Technologien sozial nutzten (den Usern), und denen, die sie ökonomisch nutzten und das Soziale kapitalisierten.
Gewonnen, so scheint es, haben nun diejenigen, die über die Plattformen der neuen Kommunikation verfügen. Sie haben geschafft, was noch keinem Erzkapitalisten gelungen ist: Sie können unter dem Jubel einer Avantgarde, die eigentlich ihre Gegner sein müsste, eine Idee, die sie selbst nicht repräsentieren, als Geschäftsmodell verkaufen.
Es stimmt, dass das Internet eine Quelle unendlichen Wissens ist und dass es beeindruckende Beispiele kollektiver Intelligenz gibt. Aber wie stets in der Informationsgesellschaft verändert sich dieses Bild sofort, wenn der Cyberspace von den Märkten annektiert wird. Je schwächer die gesellschaftlichen Institutionen werden, die über den Wert von interesseloser Bildung entscheiden, und je mehr sie an den Marktplatz des Netzes delegieren, desto geringer wird der individuelle Fluchtraum. Es fehlt dann die Selbstsicherheit eines eigenen »Wissens« darüber, wie die Welt tickt.
Die Suche nach der eigenen Identität, die in Deutschland beispielsweise die Tradition des »Bildungsromans« hervorgebracht hat, ist, wie der Soziologe Manuel Castells bemerkte, eine Kraft, die ebenso mächtig ist wie der technologische Wandel selbst. Doch während Castells, der vielleicht einflussreichste Netzwerk theoretiker unserer Zeit, noch von einer »strukturellen Schizophrenie« zwischen dem Einzelnen und dem Netz spricht, ist die Spaltung für manche Software-Tycoons schon entschieden. Beharren auf der eigenen Identität, so sagen sie, als hätten sie die neoklassischen Lehren zu Nummer 2 in eine Lebensphilosophie umgesetzt, ist der Weg der Verlierer.
Es bleibt am Ende die Frage, wie sich eine Trance erklären lässt, in der Nummer 2 so leichtes Spiel hatte. Wieso ist er überall dabei? Nassim Taleb hat in der Nachschrift zu seinem »Schwarzen Schwan« mit Blick auf die Finanzmärkte die naheliegende Frage gestellt, warum eine technologische Zivilisation eigentlich auf den Gedanken kommt, genau herausfinden zu wollen, warum jemand auf Gedanken kommt. Die Antwort hat er in einer milden Erscheinungsform des Autismus, des Asperger-Syndroms, gefunden.
Man mag darüber streiten, ob Autisten wirklich Probleme haben, sich in andere hineinzuversetzen, und eine Vorliebe dafür entwickeln, Menschen und Dinge in jeder Hinsicht zu quantifizieren. Aber Taleb beschrieb suggestiv, wie die angebliche Wissensgesellschaft immer neue Grammatiken entwickelt, um das Universum so zuzuschneiden, dass es in ihre Modelle passt.
Und als bedürfte es des Beweises, wie sich die Spirale immer mehr verengt, meldete sich der einflussreiche Wirtschaftswissenschaftler Tyler Cowen mit der Botschaft, dass die Krisensymptome der neuen Ökonomie nicht durch zu viel, sondern zu wenig Autismus hervorgerufen worden sind. Er liest in der Geschichte der Ökonomie, beginnend mit der Nähnadelfabrik des Adam Smith, in der zum ersten Mal sich ewig gleichförmig wiederholende Arbeitsabläufe ausgeführt werden, die Sehnsucht nach den »kognitiven Stärken des Autismus«. Computer, von den Börsenterminals bis zum PC , seien nichts anderes als ein Werkzeug, um die Fähigkeiten eines Autisten zu imitieren. Sie trainieren uns für eine Welt, in der nur überlebt, wer ein einziges Ziel verfolgt, wie bei einem Spiel, in dem es um Leben und Tod geht. »Heutzutage«, so Cowen, »erschafft eine neue Art von Mensch seine oder ihre höchstpersönliche Ökonomie in ihrem eigenen Kopf.« 251
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Die Marionette töten
L angsam senkt sich das Licht der »Twilight Zone«, und zielsicher haben uns die Links dorthin navigiert, wo unsere Suche begann. Die »Indoktrinationsmaschine« der amerikanischen Radarcrews, die doch nur als Schulungsapparat gedacht war, verwandelt die Menschen nun, in Tyler Cowens Worten, in Menschen, die von der Maschine so erzogen wurden, wie man die Maschine erzogen hat. Man sollte, so hatte der Computerpionier Alan Turing über die ersten Computer geschrieben, die Maschine so behandeln wie ein Kind.
»Unsere Hoffnung besteht darin, dass es in einem kindlichen Gehirn so wenig vorgeprägte mechanische Funktionen gibt, dass man sie leicht einprogrammieren kann. Der Arbeitsaufwand bei der Erziehung (der Maschine) ist – so können wir in einer ersten Überschlagsrechnung
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