Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
auch gibt, es ist in Wahrheit magisch.
»So wie die Quantenphysik Newtons Materie überwunden hat, so überwindet die Quantenökonomie Newtons Materie in der Schaffung von Reichtum.« Wer das sagt, würde man meinen, kann nicht ganz richtig im Kopf sein, auch wenn hier gerade noch einmal George Gilder, einer der engsten Ratgeber Ronald Reagans, spricht. Und doch geschah, wie jeder weiß, was er voraussagte: Es waren die Quants, die an der Wall Street damit begannen, aus nichts etwas zu machen.
Gerade preisen Ray Kurzweil (Technofuturist), Richard Branson (Gründer von Virgin), Jeff Skoll (Mitbegründer von Ebay) und Arianna Huffington (Gründerin der »Huffington-Post«) »Überfluss«, eine der aktuellsten Bibeln aus dem Silicon Valley: »Überfluss«, steht da geschrieben, »heißt, eine Welt der Möglichkeiten zu schaffen: eine Welt, in der die Tage jedes Einzelnen von Träumen und Tun erfüllt sind, nicht durch Kaputtmachen und Zusammenkratzen.« 247
Einen großen Teil der Theorie, dass jeder alles haben kann, nimmt denn auch die Beschreibung der guten Werke ein, die Jeff Skoll, Ray Kurzweil und Arianna Huffington für die Welt getan haben.
Dass Träumen schon Tun ist, hätte man als Hypothese von jedermann erwartet, nicht aber von den Thinkthanks von Palo Alto und der Wall Street. »Wie primitive Stämme beten die meisten Menschen Dinge an, die sie sehen und fühlen können«, hieß es in einem Buch, das Investoren nicht etwa für Greenpeace, sondern für Greenspan gewinnen sollte. 248
Es war, im Rückblick betrachtet, ein genialer Schachzug nach dem Ende des Kommunismus, die Kritiker des ultramaterialistischen amerikanischen Systems gleichsam auf den Lichtwellen der Quantenphysik subatomar zu überholen: Wo es keine Materie mehr gibt und alles Information wird, »werden Menschen mit einer großen Macht ausgestattet, Reichtum zu schaffen«.
Dies alles ist die Matrix einer Ideologie, die einst als »kalifornische« begann und sich trotz aller erkennbaren Rückschläge und Opfer in den Köpfen der Menschen unaufhaltsam konsolidiert und globalisiert hat.
Und wie sieht es dort aus, wo die neue Alchemie herkommt? Dass sie in Kalifornien selbst gar nicht funktioniert, hat sich mittlerweile herumgesprochen.
»Du fängst an, dich zu fragen: Was macht eine Stadt aus? Warum leben wir überhaupt zusammen?« 249 Das fragt der verzweifelte Bürgermeister einer der reichsten Kommunen des Silicon Valley, der ohne jede Ironie voraussagt, dass bald nur noch ein einziger Angestellter im Dienst der Stadt arbeiten wird, und der wird für die Auszahlung der alles auffressenden Pensionsverpflichtungen zuständig sein.
In einer Community, deren Eliten Bücher wie »Überfluss. Die Zukunft ist besser als du denkst« schreiben, nähert sich die Vorstellung einer dem Gemeinwohl dienenden Verwaltung buchstäblich dem Undenkbaren.
Die Lobreden auf die Wohltäter, die »Technophilanthropen«, die es geschafft haben, verbrauchen Gigabytes. Doch am südlichen Kap des Valley trifft ein ökonomisch versierter Alpha-Journalist den Bürgermeister von San José, weil er herausfinden will, ob das, was Europa getroffen hat, vielleicht bald auch die USA treffen wird. Die Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte, explodierende Pensionsverpflichtungen, die politische Unmöglichkeit, Steuererhöhungen durchzusetzen, haben dazu geführt, dass die Stadt daran denkt, den »öffentlichen Notstand« auszurufen. Wohlgemerkt in einer Kommune, die nach New York das höchste Pro-Kopf-Einkommen der USA aufweist.
Und hier, wo die »Ökonomie des Geistes« geboren wurde und wo wir, nach den jubelnden Worten Reid Hoffmans, »die Welt von morgen« erleben, kann man sehen, wie der oikos sich plötzlich in ein Geisterhaus verwandelt. Denn entgegen der Lehre gibt es zwar Stein und Mörtel, aber keine Menschen. »Dienstleistungsinsolvenz« nennt das der Bürgermeister: Das neue Gemeindehaus ist fertig gebaut, aber es wird nie eröffnet werden, weil kein Geld für die Angestellten da ist. Büchereien, keine schlechten Orte für eine Wissensgesellschaft, werden an drei Tagen der Woche geschlossen bleiben. »›Ich glaube, dass wir einem Massenwahn verfallen sind‹, meinte er. Ich verstand nicht recht, was er damit sagen wollte. ›Wir werden alle reich werden‹, erklärt er. ›Wir werden ewig leben. Alle Kräfte im Staat stehen zusammen, um die Illusion aufrechtzuerhalten. Und hier – an diesem Ort – schlägt die Wirklichkeit zu.‹« 250
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