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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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gehalten haben.
    Sie wird das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses, einer Auktion, eines Bietens und Feilschens, das sich in Sekundenschnelle in immer mehr Bereichen des menschlichen Lebens abspielt, bis es schließlich durch die Autorität einer »Rating-Agentur« kodifiziert wird.
    Es stellt sich die Frage, woran wir eigentlich merken werden, wenn die Informationsökonomie einmal pleite ist? Jeder weiß, dass Staaten, Unternehmen oder Menschen bankrott sind, wenn sie kein Geld mehr haben – aber wie ist es mit der »Ökonomie des Geistes«? Die Antwort darauf fällt nicht leicht. Einiges spricht dafür, dass John Campbell den Nagel auf den Kopf traf, als er vor einer »Kultur der verdeckten Spiele« warnte, weil sie zu »horrenden seelischen Problemen« führe.
    Man mag darüber lächeln, dass Big-Data-Protagonisten nicht nur von Maschinen träumen, die soziales Kapital und Vertrauen produzieren, sondern auch noch, wie wir gesehen haben, hinzufügen, dass das »viel Geld wert sei«. Die Idee lautet, so kann man nur leicht polemisch überspitzt formulieren, dass wir Roboter bauen, die zu uns loyal sind, wenn es schon kein anderer mehr ist. Doch Leute wie Dirk Helbing berühren einen wesentlichen Punkt. Offenbar sind normative Werte wie Vertrauen, Gleichberechtigung oder Fairness mittlerweile auf Märkten nachgefragt, weil sie an den klassischen Orten der Gesellschaft nicht mehr in ausreichendem Maße vorhanden sind. Welches Vertrauen beispielsweise hat ein junger Mensch in die persönlichkeitsprägende Wirkung einer »Bildung«, die von der Gesellschaft, die ihn ausbildet, schon im Augenblick der Ausbildung einer Art »death dating« unterzogen wird? Werden deshalb auch Vertrauen und Fairness produziert werden wie Autos, mit Preisetiketten versehen und in unterschiedlicher Qualität?
    Die Frage ist, wie die Reflexionen Philip Bobbitts zeigen, alles andere als akademisch. In einer Welt, in der jeder vernünftig ist, der auf seine Interessen reduziert werden kann, und alle Daten, die er hinterlässt, daraufhin gelesen werden, steht auch jeder potenziell unter Verdacht. In dieser Welt könnte Vertrauen ein Luxusgut werden, das man sich beispielsweise auf sozialen Netzwerken gleichsam »erschreibt« und mit dem die Maschinen gefüttert werden: »Werte« hätten dann tatsächlich nur noch den Wert von Geld.
    Glücklicherweise hat auch in der Ökonomie eine neue Debatte darüber begonnen, dass »Dinge wie Gerechtigkeit und Gleichberechtigung normativen Wert haben, ganz gleich, ob sie die eigenen Wünsche befriedigen oder nicht«. 255 Die Idee Ken Binmores, dass altruistisches oder auch nur faires Verhalten sich lohnt, weil es einem selber nutzt, lässt sich zwar mathematisch modellieren, aber sie unterhöhlt, da sie sich in digitaler Echtzeit auf alles und jedes anwenden lässt, den Glauben an jede Form von nicht-marktgetriebener, nicht-ökonomischer, normativer Kraft innerhalb einer Gesellschaft. Es erodieren dann nicht nur Parlamente, Verfassungsgerichte oder Verfassungen selbst, sondern die Souveränität des Einzelnen, einfach der sein zu wollen, der er oder sie ist.
    »Für Marx und die politische Ökonomie, die ihm folgte«, sagt Evgeny Morozov, der die Frage nach dem Bankrott der Informationsökonomie als Erster gestellt hat, »war es wichtig, zu wissen, wer die Produktionsmittel hatte. Heute, durch die Informationsökonomie und Virtualisierung, ist entscheidend, wer die Sensoren und die Algorithmen kontrolliert. Man muss sich klarmachen, dass wir einen Punkt erreicht haben, wo die Modelle unserer Rationalität uns so sehr reduziert haben, dass wir glauben, dass wir nicht mehr in der Lage sind, selbst herauszufinden, was wir wollen«. 256
    * * *
    Paul Valéry (1871–1945), in dessen Werken sich Europa so tief verkörpert, wie bei kaum einem anderen Schriftsteller, hat die Figur des »Monsieur Teste« erfunden, eines Menschen, der an der Börse spekuliert und in seinem Bestreben, reiner Geist zu werden, kein Vorbild sein kann, außer in einem: »Er hatte die Marionette getötet.«
    »Vielleicht«, heißt es an einer Stelle, »werden Monster Ideenungeheuer« durch die naive Ausübung unserer Frage-Fähigkeit, die wir ein bisschen überall betätigten, ohne zu bedenken, dass wir vernünftigerweise nur das befragen sollten, was uns wirklich antworten kann?«
    Es ist der einfachste Satz, mit dem man die unbarmherzige Logik einer automatisierten Gesellschaft und Ökonomie lahmlegen und neue Freiheiten schaffen kann,

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