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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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annehmen – etwa derselbe wie für ein menschliches Kind.« 252
    Und so bizarr es manchem heute noch vorkommen wird, eine der Grundfragen unserer Zukunft wird sein, wozu wir die Maschinen erziehen, ehe sie nicht nur in automatisierten Finanzmärkten, sondern auf allen Gebieten so erwachsen geworden sind, dass sie selbst uns erziehen.
    Wir können nicht, wie es in Kleists Schrift über das Marionet tentheater heißt, so lange warten, bis wir nach »dem Durchgang durch das Unendliche« wieder auf der anderen Seite in einem Garten Eden ankommen. Die Frage, wozu wir dann geworden sind, stellt man nach Musterung der vorliegenden Befunde nicht ohne eine gewisse Sorge.
    Wer will bei Spielen schon gerne verlieren? Mit der Behaup tung, dass wir in Entscheidungssituationen alle nur Spiele spie len, ist es den Meisterdenkern des Kalten Kriegs gelungen, mensch liche Vernunft auf die ausschließliche Motivation des Eigennutzes zu reduzieren. Erst wenn alles ein Spiel nach den Regeln des Egoismus geworden ist, lassen sich der Mensch und seine Welt in präzisen mathematischen Formeln berechnen. Alles spricht dafür, dass wir heute, da die Logik des Kalten Kriegs die Zivilgesellschaft erobert und beherrscht, erst am Anfang dieser Transformation stehen. »Gamification«, die Idee, das gesamte Leben in ein ewiges Spiel von Abzeichen, Belohnungen und Beförderungen zu verwandeln, ist der nächste Schritt. Bei »Chore Wars« organisieren Menschen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, ihren gesamten Alltag von der Müllentsorgung bis zum Abwasch durch den Kampf um virtuelle Abzeichen und Schätze. Krankenkassen überlegen, gesundes Verhalten zu belohnen, wenn man bereit ist, seine tägliche Lebensführung in Echtzeit auswerten zu lassen. Die »Quests« und Missionen, die es in einem Computerspiel gibt, werden dann auf das wirkliche Leben übertragen: Fahre jetzt 10 km auf dem Heimtrainer und erreiche den nächsten Level.
    Bis 2015, so berichtet Evgeny Morozov, werden 50 Prozent aller Organisationen ihre Verkaufs- und Innovationsprozesse über »Gamification« organisieren. Doch weil im Informationskapitalismus jeder Bürger nichts anderes als ein Konsument ist, verwandelt »Gamification«, der kleine haushaltstaugliche Bruder des Behaviorismus, nun auch mit der Politik den größten gesellschaftlichen Markt überhaupt – Talkshows, auch im deutschen Fernsehen, die für den Gast mit den besten Argumenten einen Preis aussetzen, sind auch hier nur der Anfang … Gabe Zichermann, der wichtigste Vordenker der Gamification-Industrie, hat bereits präzise Pläne, wie künftig Wahlen organisiert werden sollen. Belohnungen und Abzeichen gibt es dafür, dass man Parteiveranstaltungen besucht, Webseiten der Politiker anklickt, sich an »Frage-und-Antworten«-Runden mit Politikern beteiligt usw. Doch die radikalste Idee ist es, »Wählerlotterien« zu veranstalten. Jeder Wähler erhält mit der Wahlbenachrichtigung ein Lotterielos. Nachdem die Wahlergebnisse ausgewertet sind, findet im Fernsehen eine öffentliche Ziehung statt – Hauptpreis zehn Millionen Dollar, »ein Tropfen im riesigen Kosten-Ozean einer nationalen Wahl«, aber ein gewaltiges »Incentive« gegen Wahlmüdigkeit. Hinzu kommen alle Arten von symbolischen Sonderpreisen, eine Einladung ins Kapitol oder ins Weiße Haus zum Beispiel oder als Überraschungspreis ein Abendessen mit dem Präsidenten. 253 Philip K. Dicks »Solar Lottery« war keine Science-Fiction.
    Wie stets stellt sich die Frage, ob es einen überhaupt kümmern muss, wenn man vergessen hat, was man verloren hat. Die Frage ist nicht trivial. Und anders, als es das kulturkonservative Argument wünscht, ist Verlernen ein elementarer Bestandteil von Selbstaufklärung.
    Wäre es das nicht, wir würden noch von ganz anderen Gespenstern gejagt als denjenigen, die auf diesen Seiten ihr Unwesen treiben.
    Anders freilich ist es, wenn wir im Zeitalter des Computers kognitive Fähigkeiten an ein System namens Informationsmarkt abtreten und damit auch den Maschinen, die in seinem Auftrag unterwegs sind, nicht mehr beibringen können, was wir für richtig halten.
    Wir müssen uns vor denen schützen, die nicht nur Misstrauen und den Kult des Egoismus beschwören, sondern auch noch einen bizarren Preisetikettenautomaten für unsere Gedanken im Inneren unseres Kopfes installieren wollen.
    Die Überzeugung, dass der Markt ein riesiger Computer ist, der mehr weiß als alle seine Mitglieder zusammen, hatte eine Funktion in Zeiten,

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