Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
hier und heute ihrer Haut erwehren müssen, um zu überleben, ein solches Ansinnen nicht tatsächlich egal sein?
Nein! Es geht um die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder. Nüchtern betrachtet handelt es sich für diejenigen, die jetzt in der Verantwortung stehen, nicht nur um eine harte Herausforderung, sondern um eine wahre Herkulesaufgabe. Soll es gelingen, sie zu bewältigen, müssen wir bedenken, was hinter uns liegt. Gemessen an dem durchschnittlichen Lebensalter, auf das junge Menschen heutzutage laut Statistik rechnen dürfen, ist es nämlich noch nicht allzu lange her, dass die Vision eines geeinten Europa für Unzählige von uns gleichbedeutend war mit der Hoffnung auf eine großartige Zukunft.
Natürlich muss das in keiner Weise heißen, dass alles das, was früher einmal richtig gewesen sein mag, auch heute noch zutrifft. »Tempora mutantur et nos mutamur in illis«, »Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen«: Diese Weisheit der alten Römer wurde einem früher in der Schule eingebläut. Sie gilt auch weiter. Trotzdem lehrt die Erfahrung immer wieder neu, dass man gut beraten ist, zunächst einen sorgfältigen Blick auf die Vergangenheit zu werfen, bevor man sich entschließt, das Ruder kühn herumzuwerfen und dabei das Tun seiner Vorgänger kurzerhand auf den Scheiterhaufen zu verdammen.
Etwas anderes kommt hinzu: Unsere Zeit ist heutzutage so schnelllebig geworden, wie man sich das noch bis vor kurzem nicht einmal im Traum vorstellen konnte. Das gilt für nahezu alle Merkmale des täglichen Lebens. Wir hetzen von einem Termin zum nächsten, hängen ohne Unterbrechung am Telefon oder Bildschirm, verkürzen unsere Urlaubsreisen auf wenige Tage, entscheiden uns von heute auf morgen für neue Partnerschaften, gewöhnen uns immer mehr an wechselnde Arbeitsplätze und Arbeitgeber. Facebook oder Twitter (und die explodierende Vielfalt ihrer Ableger) bestimmen den Tagesrhythmus. Die für unsere Politik verantwortlichen Persönlichkeiten überfallen uns von einem Tag zum anderen damit, ihre zuvor unumstößlichen Überzeugungen ins Gegenteil zu verkehren. Den Erfolg von Wirtschaftsunternehmen messen wir nicht mehr daran, ob ihre Strategien auf die langfristige Sicherung ihres Bestehens und ihrer Arbeitsplätze zielen, sondern daran, ob ihr Börsenwert – der sogenannte »shareholder value« – in den letzten drei Monaten zugenommen hat oder nicht. Mit dem Brustton der Überzeugung redet jedermann von »Nachhaltigkeit« – doch die übergroße Mehrheit hat sich längst daran gewöhnt, mit kurzem Atem irgendwelchen (eingebildeten oder wirklichen) Zwängen hinterherzuhecheln.
Vorsicht ist also angebracht. Das Projekt, um das es geht, verträgt keine kurzfristigen Zukunftshoffnungen. Damit gleicht es zum Verwechseln der anderen epochalen Herausforderung, vor der wir stehen: eben die Nachhaltigkeit des Lebens auf unserer Erde zu sichern. Hans Jonas hat schon vor vielen Jahren von dem »Prinzip Verantwortung« gesprochen, dessen Wahrung gefragt ist, wenn dies gelingen soll. Mit billigen Patentlösungen, mögen sie noch so populär sein, wird es auch weiterhin nicht getan sein. Es geht um das beharrliche Bohren sehr, sehr dicker Bretter. Die bisherigen Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrzehnten, besonders aber seit dem Beginn dieses Jahrhunderts, machen mussten, zeigen, dass es sich mit dem großen Projekt der europäischen Einigung nicht anders verhält. Umso weniger verdienen diejenigen unseren Widerwillen oder gar unsere Verachtung, die zäh und unbeirrt daran arbeiten – sondern viel eher diejenigen, die ebenso leichtfertig wie voreilig dazu raten, die Flinte ins Korn zu werfen. Das betrifft übrigens keineswegs nur die Schreihälse in den Talkshows oder in Bild , sondern genauso manche Professoren, die kaum mehr an sich halten können, wenn ihr Name nicht jeden Tag neu durch die Medien gejagt wird.
Der letzte einer nicht enden wollenden Kette von Kriegen war vorüber. Es war der schrecklichste von allen. Zusammen mit dem Holocaust an den Juden, dem Mord an den Zigeunern und dem Hinschlachten ungezählter weiterer unschuldiger Menschen hatte er in den europäischen Ländern Millionen dahingerafft. Bei uns in Deutschland mussten sich die Überlebenden von kärglichen Tagesrationen ernähren, die ihnen je nach ihrer Arbeit – wenn sie überhaupt eine solche hatten – zugeteilt wurden. In den zerstörten Städten paarte sich bitterer Hunger mit der mörderischen Kälte eines erbarmungslosen
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