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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Schneemassen vorbei, so, als seien sie gar nicht für die Erde bestimmt, als würden sie nirgendwo niedergehen, sondern wieder zurückgetrieben in ihren Ursprung, weil sie zu spät geliefert worden waren und nun nicht mehr angenommen werden konnten. Aber das Erschrecken der Gäste war nur ein sanftes Prickeln, ein fast angenehmes Gefühl, das sie wie ein Abenteuer genossen, als einen Reiz, der diese Party schmückte, man würde davon auf späteren Veranstaltungen erzählen, im Mai etwa, wenn man wieder auf der Terrasse saß. Ja, die Natur, das ist schon etwas Geheimnisvolles! Ob es wohl mit den Atomversuchen zusammenhängt? Ein solcher Winter und dann dieser wütende Zusammenbruch! Heutzutage ist ja alles aus den Fugen, auch das Wetter… Herr Volkmann machte die vier Herren, die immer noch ihren Ritterdienst an den Türflügeln versahen, darauf aufmerksam, daß der Wind seine Richtung geändert hatte, er habe es an den vorbeitreibenden Schneeflocken gesehen. Und tatsächlich, als die Herren sich von der Tür lösten, folgte sie ihnen nicht, sie blieb geschlossen, obwohl die Riegelstange verbogen war. Um ganz sicher zu gehen, ließ Herr Volkmann das Klavier aus dem Salon nebenan hereinrücken und vor die Terrassentür schieben. Der Transport des Klaviers wurde zu einem großen Ereignis. Jeder wollte mit Hand anlegen, wollte den Befehl übernehmen und besser wissen, wie man am besten verfahre.
     Frau Volkmann, als die eigentliche Besitzerin, übernahm schließlich das Kommando und begleitete den Transport mit einem leidenden Gesicht, um jedem zu zeigen, wie sehr sie mit diesem Instrument (wenn es auch nicht ihr Flügel war, nicht ihr Lieblingsinstrument) verbunden war. Keinesfalls konnte sie dulden, daß das Klavier mit seiner bloßen Rückwand gegen die Tür gerückt wurde. Schnell ließ sie Wolldecken und einen verblichenen Wandteppich herbeischaffen, um das Klavier gegen etwaige Einflüsse böser Witterung durch die Tür hindurch zu schützen. Das Verlobungspaar und Herr Mauthusius waren darüber vergessen worden. Und als das Klavier endlich seinen Platz vor der Tür gefunden hatte und den Salon vor weiteren Launen des Sturmes schützte, da verlor sich die Gesellschaft erstaunlich rasch in die einzelnen Ecken, in die Hausbar und die Nebensalons, so daß der Hausherr sich gezwungen sah, Herrn Mauthusius für seinen guten Willen zu danken; zu so vorgerückter Stunde könne er die Gesellschaft leider nicht mehr zum Anhören einer Rede versammeln. Alwin, der dabei stand – er hatte sich die ganze Zeit über in Mauthusius’ Nähe gehalten –, konnte ein untröstliches »das ist sehr schade« nicht unterdrücken.
     »Ja«, sagte Herr Volkmann, »so ist das nun einmal, ein Abend hat sein Gesetz, er blüht auf, reift und geht zu Ende. Was im ersten Stadium erlaubt und geradezu notwendig ist, das ist im zweiten schon verboten und im dritten ganz einfach unmöglich. Der dumme Zwischenfall mit dem Wind hat uns aus dem ersten Stadium herausgerissen, und nun befinden wir uns gewissermaßen unvorbereitet im zweiten, was sollen wir tun, Herr Mauthusius? Sie wissen, wie sehr ich es meinem Verlobungspaar gegönnt hätte, von Ihnen eine Rede mit auf den Lebensweg zu bekommen, aber Sie sehen selbst, die Uhr läuft ab, wir müssen uns fügen.« Alwin, der sich freute, so plötzlich ins Zentrum der Veranstaltung gelangt zu sein, der sich noch mehr darüber freute, daß Mauthusius seine Rede nicht halten konnte, machte jetzt ein geradezu jämmerlich unglückliches Gesicht, so, als sei er nur hergekommen, um Herrn Mauthusius’ Rede zu hören. Der selbst hatte sein Lächeln wiederhergestellt. Das sei ja nicht so schlimm, meinte er, ihm entgehe ja nichts, Reden halten könne er mehr als genug, den jungen Leuten allerdings hätte er es auch gegönnt, seine Worte zu hören, sie hätten heutzutage ohnehin wenig genug, an das sie sich wirklich halten könnten, und dann sei es einfach wichtig, daß eine solche Verlobungsfeier, die jungen Leute nennten es leider »Party«, ein Amerikanismus, eine nivellierende Schablone, die ein Tanzfest Halberwachsener nicht von einer Verlobungsfeier unterscheide, obwohl letztere doch wirklich feierlichen Charakter trage, da sie ja lebensstiftende Bedeutung und geradezu institutionelle Züge habe, ja, was er habe sagen wollen, wie wichtig es doch sei, daß eine solche Verlobungsfeier eine Feier bleibe, ein gesellschaftliches Fest, das nicht bloß eine Zusammenkunft müßiger Leute zur Unterhaltung und

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