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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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und bat sie insgeheim um Verzeihung für die Kritik, die er, wenn auch nur in Gedanken, an der Familie von Salow geübt hatte. Er würde Ilse am Ende seines Lebens einen guten Teil aller seiner Erfolge zu danken haben, das wußte er. Er war zwar eine Kraft, aber sie gab die Form, sie faßte die Kraft, machte sie zur Wirkung fähig, sie waren aufeinander angewiesen, es war lächerlich, Gedanken gegen Ilse zuzulassen in seinem Kopf, das war Schwächung, war Verrat.
     Alwin hob sein Glas und prostete Ilse zu. Sie kuschelte sich an ihn, sah ihn an, das Feuer der Einigkeit, der völligen Gleichgestimmtheit hatte sie beide erfaßt, sie waren eine Familie, eine Front. Anne Volkmann, die neben ihnen an der Bar saß, sagte zu ihrem Verlobten laut, daß alle es hören konnten: »Wenn wir nur auch schon so weit wären.« Sie hatte die Liebeserklärung der Alwins beobachtet.
     Hans Beumann nickte und runzelte die Stirn, Frau Alwin sagte: »Kommt alles noch.«
     Dann fragte Anne, was eigentlich Alwins Klient Dr. Benrath zur Zeit treibe, der Treulose habe seit Monaten nichts von sich hören lassen. Alwin sagte, Benrath sei von Paris nach Berlin gefahren, nach Philippsburg werde er nicht zurückkommen. Frau Alwin sagte, so könne es gehen, wenn man im eigenen Haus keine Ordnung halte. Sie habe den Dr. Benrath immer schon für eine schwankende Natur gehalten, und daß der seine Frau nach Strich und Faden betrogen habe, das habe ja jeder gewußt, eben ein Frauenarzt, und dabei habe er eine so nette Frau gehabt (Alwin erinnerte sich, daß Ilse Frau Benrath zu deren Lebzeiten ganz anders beurteilt hatte), auf jeden Fall sei Birga der Kunstgewerblerin, die ja doch irgendwie in diese Affäre verstrickt sei, bei weitem vorzuziehen. In diesem Augenblick drängten sich Frau Volkmann und Frau Frantzke in die Bar, hinter ihnen folgten, im Gespräch begriffen, Büsgen und Cécile. Frau Volkmann war anscheinend gekommen, um Frau Frantzke die neu eingerichtete Hausbar zu zeigen. »Na was sagen Sie!« rief sie. »Alles nach eigenen Zeichnungen!« Dann fragte sie die, die schon länger hier saßen, wie man sich in der Bar fühle, und erntete genußvoll die Lobsprüche ihrer Gäste. Sie begann, die Überlegungen aufzuzählen, die sie sich bei der Einrichtung gemacht hatte. Warum sie die handgedrechselten Barhocker habe machen lassen, warum sie das Holz weder gebeizt noch lackiert habe, warum die Naturfarbe die schönste sei und warum die Hocker nicht gepolstert, sondern mit rotweiß und blauweiß karierten Leinenkissen belegt seien. Sie habe eben eine elegante Bauernbar einrichten wollen, etwas Urwüchsiges, Ländliches, weil sie darin einen reizenden Kontrast sehe: Luxus und Rustikalität zur Harmonie zu bringen. Alle Anwesenden bestätigen ihr, daß ihr das vorzüglich gelungen sei. Cécile hatte mit Büsgen auf den letzten Hockern Platz genommen Frau Frantzke, die ohne ihren Mann zur Party gekommen war, hatte sich hinter die Bar gestellt, um dem Mixer zu assistieren, den man aus der Eden-Bar für diesen Abend engagiert hatte. Frau Frantzke trug ein weinrotes Brokatkleid. Ihre Haut war milchweiß und schien nur sehr lose befestigt zu sein, sie floß und schwappte nämlich bei jeder Bewegung der lebhaften Fabrikantin auf und nieder und hin und her, das sah, wenn sie den Mixbecher schwang, sehr komisch aus, weil der Raum, den der auf- und niederfahrende Arm durchmaß, in jeder Sekunde ganz von der milchweißen Masse, die dem vorauseilenden Knochen nachschwappte, ausgefüllt zu sein schien. Als dann Knut Relow in die Bar trat und sich neben Cécile drängte, forderte Frau Frantzke Ruhe, da sie etwas bekannt geben wolle, die Anwesenheit des Herrn Programmdirektors habe sie gerade wieder daran erinnert. Sie hatte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, einen ihrer weißen Arme schräg in die Höhe gestreckt, die dicken kurzen Finger bewegten sich dort oben wie Würmer, die sich nicht wohlfühlen. Sie trug ihre Haare kurz geschnitten und sah in ihrem roten Brokatkleid in dieser Haltung aus wie ein Wagnersänger, der nach dem richtigen Ton sucht und ihn nicht finden kann. Wagner war übrigens das einzige Kunsterlebnis ihres Lebens, und auch dazu war sie, wie man sich in der Philippsburger Gesellschaft erzählte, auf eine eigenartige Weise gekommen: in den zwanziger Jahren hatte sie einem Freikorpsführer, einem blutbedeckten Annaberg-Stürmer, Unterschlupf in mehr als einem Sinne gewährt, und dieser wackere Reichskämpe war ein glühender

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