Ehen in Philippsburg
das getan hatte (und wer außer ihm hatte je etwas dafür getan), was er die Reinerhaltung unserer Kultur nannte.
So war es vor seiner Wahl zum Direktor des Werbefernsehens gewesen. Jetzt hielt er eine Rede, so viel hörte Alwin ohne zuzuhören, so viel fiel ihm einfach in die Ohren, weil man die ja leider nicht wie die Augen schließen kann, jetzt hielt er seine Rede (die seine Rede sein würde, solange er diesen Job innehaben würde) zum Preis des Werbefernsehens als der einzigen Macht, mit deren Hilfe es gelingen könne, die Kultur reinzuerhalten. Er nannte Zahlen. Er hatte ja auch früher schon Zahlen genannt und mit diesen Zahlen immer bewiesen, was zur Reinerhaltung der Kultur bewiesen werden mußte. Diese Reinerhaltung war sein ad majorem dei gloriam, war seine Lebensmelodie, die er jetzt als Werbemanager variierte. Er sang ein ergreifendes Lied davon, daß unsere Kultur nur noch mit Geld reinzuerhalten sei, und zwar mit viel, mit sehr viel Geld, und dieses Geld sei am besten durch das Werbefernsehen aufzubringen, dadurch also – so tönte es listig aus seinem Munde –, daß man der Wirtschaft Gelegenheit gebe zum indirekten Mäzenatentum. Eine opportunitas clara sagte Dr. ten Bergen, der keinen Satz aus dem Munde entließ, ohne ihm ein leuchtendes Fremdwort wie eine Fahne aufzusetzen; und es waren fast immer Fremdworte, die man nicht jeden Tag hörte, die im einheimischen Sprachgebrauch noch keine abgenützte Heimstatt gefunden hatten, sondern noch fremdartig schön und zum Teil unverständlich den Zuhörern im Ohre rumorten. Bis vor einem Jahr noch waren es vor allem Blüten aus der lateinischen und französischen Sprache gewesen, mit denen Dr. ten Bergen seine Reden garniert hatte: der und der habe ein droit moral; zu optima fide sei hierorts kein Anlaß; er fühle sich außer Obligo; tant mieux, wenn der Gegner consentiere; im übrigen verachte er diese Pseudo-Connaisseure; all diese Usancen seien höchst ridikül… Seit er aber seine Amerikareise hinter sich hatte, ließ er – was er früher verachtet hatte, denn das Englische war ihm zur Aufnahme in seinen Sprachgarten einfach zu grob gewesen, einen Seemannsdialekt hatte er es genannt –, jetzt ließ er seine ganze Reisebeute in seine Reden einströmen. Natürlich nicht »allright« und »o.k.«, sondern Ausdrücke wie: muddle-through als Methode sei ihm zuwider; public relations seien eine conditio sine qua non; seine Arbeit gelte nicht nur den happy few; er wisse von seinen Freunden, und darunter seien einige big wheels, daß sein approach auch in der Politik Beachtung gefunden habe; er werde sich niemals der oder jener pressure-group beugen; auf snob-appeal lege er keinen Wert, er mache auch nicht in Understatement um jeden Preis… So wie ein anderer Zündholzschachteln sammelt und mit nach Hause bringt oder verpackte Zuckerstücke, Postkarten, Wimpel, fremde Blumen oder Schmetterlinge, so schien Dr. ten Bergen Worte aufzuspießen, um sie seinem Sprachschatz einzuverleiben; und er hatte es nicht nötig, vor jedem fremden Brocken zu sagen: der Lateiner, der Franzose sagt. Nahtlos verschmolz er das Fremde mit dem Eigenen. Dr. Alwin bewunderte ihn um dieser Fähigkeit willen, denn er selbst konnte sich beim besten Willen keine fremden Worte merken. Niemand empörte sich übrigens darüber, daß Dr. ten Bergen diese Verlobungseinladung dazu benutzte, seine Rede zu halten. Benutzten doch auch Staatsmänner einen Stapellauf oder die Einweihung eines Kraftwerkes dazu (und eine Verlobung in der Philippsburger Gesellschaft ist damit durchaus vergleichbar), ihre politischen Reden zu halten, die sich dann, von ein paar Einleitungs- und Schlußformeln abgesehen, mit keinem Wort an die braven Werftarbeiter oder Maurer wenden, die mit andächtigen und stolzen Augen zur leibhaftig erschienenen Prominenz aufschauen und ein Lob von so hohem Besuch erwarten (warum sonst denn sollte der zu dem feierlichen Akt gekommen sein!); aber die hohen Herren sprechen nicht für die tausend Ohren, sondern für die zwei oder drei kleinen Mikrophonkapseln, die vor ihnen aus den Blumen ragen, und sie lächeln nicht für die tausend Augen, die an ihrem Mund hängen, sondern für die Kameras und Photoapparate, die ihre dunkel schimmernden Mäuler heraufrichten, jedes Lächeln sorgfältig konservieren und es hinaustragen vor die Augen einer größeren Welt, für die es bestimmt ist.
Wahrscheinlich hatte auch Dr. ten Bergen das Gefühl, daß man von ihm, wenn er einmal
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