Ehen in Philippsburg
gekommen war, eine Stellungnahme zu seinem neuen Amt erwartete. Deshalb durfte er den Anlaß mißbrauchen, unterschied er sich doch von den ähnlich handelnden Staatsmännern immerhin noch dadurch, daß er fast ausschließlich zu den Anwesenden sprach und sie nicht zu Photostatisten und zur Geräuschkulisse herabwürdigte. Fast ausschließlich, nicht ganz, denn er durfte ja annehmen, daß seine Stellungnahme nicht in diesem Kreis untergehen würde, sie würde in Philippsburg zirkulieren als eine authentische Interpretation seines neuen Standortes.
Es ist schwer zu sagen, wann Dr. ten Bergen seine Rede freiwillig beendet hätte. Das ist deshalb so schwer, weil fast niemand ein natürliches Ende einer seiner Reden je erlebt hat. Immer wieder fand sich ein Mutiger, der es wagte, und der auch einen entsprechenden Einfall hatte, diese Reden zu unterbrechen, sie auf eine gerade noch höfliche Art und Weise zu beenden. An diesem Abend war es wieder einmal Harry Büsgen, der plötzlich in die Hände klatschte und nicht aufhörte, bis einige den Mut fanden, sich ihm anzuschließen, worauf denn ein langes Geklatsche anhob, das Dr. ten Bergen vergeblich durch ein paar bescheiden abwehrende Handbewegungen beizulegen suchte. Zuerst ließ er den Beifall mit gesenkten Augen, in gewissermaßen andächtiger Haltung über sich ergehen, so, als werde ihm der Beifall zugefügt, als sei es sein Schicksal und er ergebe sich darein. Dann, als der Beifall immer noch nicht enden wollte, er aber wahrscheinlich schon die Sätze zur Fortsetzung seiner Rede im Halse spürte (sie schoben sich herauf, herauf, bildeten sich wie Speichel in seinem Munde, wollten überfließen, sie wieder hinabschlucken durfte er nicht, es wäre zu schade gewesen um sie), was sollte er da bloß tun, er mußte dem Beifall Einhalt gebieten! Aber er kam nicht an gegen die Kraft dieser Kundgebung. Männer und Frauen hatten alle Gläser weggestellt, denn bei diesem Beifall durfte keine Hand fehlen. Zweimal, dreimal öffnete er den Mund und schloß die Augen, ein Zeichen, daß er gleich sprechen würde, das wußten alle, die ihn kannten, aber jedesmal, wenn er diese Anstalten machte, stopfte ihm prasselnder Beifall sofort wieder den gerade geöffneten Mund. Aber so konnte man ja nicht eine Ewigkeit über ihn wachen! Herr Volkmann vollendete deshalb, was Harry Büsgen begonnen hatte, trat schmunzelnd auf Dr. ten Bergen zu, griff nach dessen Hand und schüttelte sie und dankte und setzte so einen unübersehbaren Schlußpunkt unter die Rede. Dr. ten Bergen mochte einsehen, daß er diese Wirkung auch durch noch so gute Sätze, wie er sie jetzt heftig in den Hals zurückschlucken mußte, nicht mehr würde steigern können, und so ließ er es denn gut sein und gestattete, daß man ihn feiere. Dem Chefredakteur aber dankte wahrscheinlich mancher der Zuhörer dafür, daß er in den traurigen Akkord, den des Redners Nasal mit dem draußen niedergehenden Spätwinterregen bildete, so munter hineingeklatscht hatte. So viele gab es gar nicht, die das hätten wagen können. Alwin zumindest gestand sich ein, daß er so was nicht gewagt hätte. Aber Harry Büsgen konnte sich das leisten. Der hatte sogar eine gewisse Routine im Töten von nicht enden wollenden tenBergen-Reden. Alwin erinnerte sich an ein Bonmot, das Dr. Benrath zugeschrieben worden war: kein Gastgeber, dem das Wohlbefinden seiner Gäste etwas gelte, dürfe es wagen, Dr. ten Bergen zu einer Party einzuladen, wenn er nicht die Gewißheit habe, auch Büsgen für diese Party zu bekommen.
Kaum war es gelungen, Dr. ten Bergen zum Schweigen zu bringen, als dicht neben Alwin ein beleibter Mann den Kreis durchbrach, mit zwei Schritten in die Mitte vordrang und ebenfalls die Hand hob, zum Zeichen, daß er sprechen wolle. Es war der Verwaltungsdirektor Mauthusius. Der Hausherr beugte zustimmend sein silbriges Köpflein, zog den langen ten Bergen hinter sich aus dem Kreis hinaus, um die Aufmerksamkeit der Gäste ungeteilt Herrn Mauthusius zu opfern. Der schien in solchen Auftritten große Übung zu haben. Über sein rundes Gesicht, das nach oben durch keinen Haarwuchs mehr abgeflacht wurde, glitt ein dauerhaftes Lächeln vom Mund zu den Ohren und von dort zu den eigentlich kleinen Äuglein und wieder zurück zum Mund, wo es sich verstärkte, um in fröhlichen Fältchen weiterzuwandern. Er wartete ohne das geringste Zeichen der Unruhe oder gar Verlegenheit, bis die Gäste sich zum Anhören seiner Rede gesammelt hatten. Seine
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