Ehen in Philippsburg
rechte Hand spielte an der goldenen Uhrkette entlang, die von der linken Westentasche durch ein Knopfloch bis zur rechten Westentasche lief und so den Bauch des stattlichen Mannes als eine leuchtende Girlande zierte. Alwin sah ihm, eingedenk der Empfehlungen seiner Frau, vom ersten Augenblick an mit geradezu demütiger Erwartung ins Gesicht, obwohl er Mauthusius haßte und diese Reden haßte, weil sie ihn an der Verfolgung seiner Pläne auf dieser Party hinderten. Er war ja schließlich nicht hergekommen, um anderen zuzuhören, sondern um selbst zu sprechen, wenn auch nicht als Redner mitten im Kreis. Er hatte sich für diesen Abend drei Herren vorgenommen, Büsgen, Relow und Mauthusius. Nun, solange Mauthusius sprach, konnte er wenigstens durch ein vor Aufmerksamkeit glühendes Gesicht beweisen, wie sehr er ihn schätzte. Das war zumindest eine gute Vorbereitung für das Gespräch. Aber als es gerade so ruhig geworden war, daß Mauthusius hätte sprechen können, gerade als er sich deshalb dankend verneigte und den Atem für seinen ersten Satz schon geholt hatte, da schlug mit einem Male die Tür, die vom Grünen Salon hinaus auf die Terrasse führte, mit beiden Flügeln ins Zimmer, und der wütende Wind, der sie hereingedrückt hatte, trieb eisige Regenschauer über die aufkreischenden Gäste hin. Das war für die Philippsburger Gesellschaft ein großes Erlebnis. Die Damen rafften ängstlich ihre Stolen, ein paar mutige Herren, voran Knut Relow, der Rennfahrer und Sportsmann und Kavalier und Programmdirektor des Philippsburger Senders, stürzten auf die unzuverlässige Tür zu, packten sie und schoben sie mit vereinten Kräften gegen den Regenwind, um sie zu schließen. Herr Volkmann stand dabei, um im rechten Augenblick alle Riegel vorzuschieben, aber er sah verwundert, daß die Riegelstange, die in Boden und Decke griff, durch die Gewalt des Windes verbogen war. Sie würde dem Druck des Sturmes nicht mehr standhalten.
Flüsternd teilte man sich diese Entdeckung mit. Noch standen vier Herren, zwei an jedem Flügel, und hielten die Tür mit ihrer ganzen Kraft gegen den anstürmenden Wind geschlossen. Aber so konnte sie sich ja nicht den ganzen Abend dagegenstemmen. Der Kreis der Gäste löste sich von Mauthusius, der blieb einen Augenblick unschlüssig allein zurück, ließ alle an sich vorbeiströmen, versuchte, sein dauerhaftes Lächeln auch jetzt noch aufrechtzuerhalten, ließ es aber dann doch zerfallen, weil alle Blicke sich jetzt auf die Tür und die Männer richteten, die sie hielten, und schließlich ging er als letzter zum Ort der kleinen Katastrophe, begleitet von Alwin, der bis jetzt erwartungsvoll ausgeharrt und ungeduldige und ärgerliche Blicke zur Tür geworfen hatte. Herr Volkmann entschuldigte sich bei den Gästen. Der Sturm müsse eine ungeheure Kraft entwickelt haben, wenn er solche Eisenstäbe verbiegen könne.
Die Gäste tuschelten, gingen zu den Fenstern, hoben vorsichtig, als verberge sich dahinter ein Ungeheuer, die Vorhänge und sahen den Regenmassen zu, die gegen die Scheiben polterten und sie jeden Augenblick zu zerbrechen drohten. Hoffentlich hatten sie in ihren Villen die Fenster zugemacht! Na ja, das war ja zu erwarten gewesen. Nach einem solchen Winter, ich bitte Sie! Zwei Monate geradezu sibirischen Frostes. Veränderungslos. Und dann vor ein paar Tagen, genau am ersten März war es gewesen, da war plötzlich alles schwarz geworden. An einem Vormittag war die makellose Schneedecke gealtert. Gerade war sie noch glatt gewesen, weiß, strahlend, mehlig und hart, und dann wurde sie in einer einzigen Stunde großporig, schattenhäutig wie eine alte Frau, die Bäume dunkelten, und am Nachmittag und in der Nacht fielen Winde herab, warfen sich gegeneinander mit Getöse und Heulen, trugen Regen heran, spitze Wasserpfeile, die sie auf den Schnee hinunterschossen und ihn dadurch vollends zerfetzten, auflösten und wegschwemmten. Raben und Amseln, die wochenlang nur noch in den Schneedünen herumgehüpft waren, als erwarteten sie ihr baldiges Ende, warfen sich wieder in die Winde, ließen ihr steifgefrorenes Gefieder aufreißen vom Ungestüm des Regens, ließen sich auf und nieder werfen und schrien in das tagelange Brausen hinein. Fünf Tage geht’s jetzt schon so zu. Und an diesem Abend schien der wütende Regen nun endgültig zum Sturm geworden zu sein.
Die Gäste erschraken ein bißchen, als sie sahen, daß draußen jetzt Schnee vorbeitrieb. Waagrecht rasten dickflockige
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