Ehen in Philippsburg
Zerstreuung sein dürfe, nein, es müsse ein Fest bleiben und dadurch eine Verpflichtung für alle Teilnehmenden und vor allem für die, deren Verlobung hier gefeiert werde. Dadurch werde die Verlobung wieder in den Rang eingesetzt, der ihr in einer intakten christlichen Gesellschaft zukomme…
Zweifellos hatte auch Herr Volkmann bemerkt, daß Mauthusius nun, da ihm der große Zuhörerkreis entgangen war, seine Rede einem kleineren Auditorium zu halten im Begriffe war. Deshalb hätte er unauffällig, aber doch so, daß es auch Mauthusius sehen konnte, das Verlobungspaar herangewinkt, an das sich der Verwaltungsdirektor der Philippsburger Staatstheater und christliche Politiker Mauthusius nun mit seinen gutgemeinten Worten wenden konnte. Alwin war froh, daß Anne Volkmann und ihr Verlobter den kleinen Kreis derer, die bei Mauthusius ausgehalten hatten, vergrößerten und Hauptanspracheziel des Redners wurden, denn für ihn und Ilse bedeutete das doch eine Entlastung, sie mußten jetzt die Last des Zuhörers nicht mehr ganz allein tragen. Mochte sich auch Mauthusius, was seine Beliebtheit als Redner betraf, im Irrtum befinden, so war er, verglichen mit Dr. ten Bergen, doch ein großer Psychologe und ein erfahrener Meister in der Einschätzung der Fassungskraft seines jeweiligen Publikums. Er hörte freiwillig auf, schloß seine Rede, die eine Mahnung war, gemütlich ab und forderte seine Zuhörer auf, an der Bar das Gesprochene durch einen Umtrunk zu besiegeln. So war Alwin für den zweiten Teil des Abends zum Trinkgesellen des einflußreichen christlichen Politikers geworden.
Alwin hatte, als sie in die Hausbar gingen, im Salon nebenan einen Tisch gesehen, der mit Verlobungsgeschenken überhäuft war. Sofort teilte er es Ilse mit und forderte, sie möge das in der monatlichen Abrechnung über Recht- und Nichtrechthaben als einen Pluspunkt für ihn vermerken. Er hatte nämlich gebeten, Ilse solle ein Geschenk kaufen für das Verlobungspaar. Ilse hatte gesagt, das sei nicht nötig, so eng sei man mit Volkmanns nicht befreundet und den Beumann kenne man so gut wie gar nicht. Alwin war anderer Ansicht. Er billigte die Gepflogenheiten, die Ilse von ihrer Familie in dieser Hinsicht übernommen hatte, ganz und gar nicht. Vor jedem Festtag begann nämlich zwischen den Gliedern der Familie Salow ein großer Briefwechsel, der einzig und allein um das Schenken kreiste. Da schrieb Ilse ihrer Schwester Elvire, die mit einem Ministerialdirigenten verheiratet war, sie (also Elvire) möge ihr doch fünfzehn Mark schicken, da Ilse beabsichtige, ihrer Nichte (Elvires Tochter also) einen Pullover zu schenken, der dreißig Mark koste, sie wolle und könne aber bloß fünfzehn Mark für dieses Geschenk anlegen. Und Ilses Mutter hatte einmal an ihre Tochter geschrieben, beiliegend übersende sie vierzig Mark, Ilse möge ihr doch zum nächsten Weihnachtsfest jene schönen Wildlederstiefeletten kaufen, die sie bei ihrem letzten Besuch zusammen angeschaut hätten, die nach ihrer Erinnerung fünfundsechzig Mark kosteten. Schenken unterlag in der Familie von Salow einem genauen Abrechnungsverfahren. Ilse hatte ihrer Mutter zurückgeschrieben, die Wildlederstiefeletten seien vor Weihnachten nicht mehr zu bekommen, hatte sie dann aber im Winterschlußverkauf für fünfzig Mark erstanden und sie ihrer Mutter als verspätetes Weihnachtsgeschenk zugeschickt. Wie ja überhaupt alle Käufe in dieser Familie entweder im Saisonschlußverkauf oder über Großhandelsbeziehungen erfolgten. Zu normalen Ladenpreisen zu kaufen, war verpönt. Ilses Vater, der Generaldirektor in der Automobilindustrie, bekam darüber hinaus noch so zahlreiche Werbegeschenke von den Zulieferindustrien, die von seinem Wohlwollen abhängig waren, daß man diese Geschenke (Kühlschränke, Radio- und Fernsehapparate, elektrische Küchengeräte, Staubsauger, Reisetaschen und Teppiche) oft an Einzelhändler oder an Verwandte weiterverkaufen mußte, da man selbst schon mit allem versehen war. Nun mag es einem einfachen Menschen ungerecht erscheinen, daß ein Generaldirektor, der sowieso schon ein hohes Einkommen hat, auch noch alles, was er braucht, geschenkt bekommt, aber das ist falsch gedacht: Alwin, der diesen Geschenksegen anfangs auch als eine Ungerechtigkeit empfunden hatte, als eine unerträgliche Bevorzugung der Reichen, als einen Kuhhandel, den die Begüterten unter sich zu ihrem Vorteil und auf steuerbegünstigte Werbungskosten betrieben, Alwin hatte schließlich
Weitere Kostenlose Bücher